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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

und sich über ihn beklagt, in der Schöpfung des Satans zum Ausdruck gekommen ist. Der Vater wäre also das individuelle Urbild sowohl Gottes wie des Teufels. Die Religionen würden aber unter der untilgbaren Nachwirkung der Tatsache stehen, daß der primitive Urvater ein uneingeschränkt böses Wesen war, Gott weniger ähnlich als dem Teufel.

Freilich, so leicht ist es nicht, die Spur der satanischen Auffassung des Vaters im Seelenleben des Einzelnen aufzuzeigen. Wenn der Knabe Fratzen und Karrikaturen zeichnet, so gelingt es etwa nachzuweisen, daß er in ihnen den Vater verhöhnt, und wenn beide Geschlechter sich nächtlicherweise vor Räubern und Einbrechern schrecken, so hat die Erkennung derselben als Abspaltungen des Vaters keine Schwierigkeit[1]. Auch die in den Tierphobien der Kinder auftretenden Tiere sind am häufigsten Vaterersatz wie in der Urzeit das Totemtier[1]. So deutlich aber wie bei unserem neurotischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts hört man sonst nicht, daß der Teufel ein Nachbild des Vaters ist und als Ersatz für ihn eintreten kann. Darum sprach ich eingangs dieser Arbeit die Erwartung aus, eine solche dämonologische Krankengeschichte werde uns als gediegenes Metall zeigen, was in den Neurosen einer späteren, nicht mehr abergläubischen aber dafür hypochondrischen Zeit mühselig durch analytische Arbeit aus dem Erz der Einfälle und Symptome dargestellt werden muß[2].

Stärkere Überzeugung werden wir wahrscheinlich gewinnen, wenn wir tiefer in die Analyse der Erkrankung bei unserem Maler eindringen.


  1. a b Als Einbrecher erscheint der Vater Wolf auch in dem bekannten Märchen von den sieben Geißlein.
  2. Wenn es uns so selten gelingt, in unseren Analysen den Teufel als Vaterersatz aufzufinden, so mag dies darauf hinweisen, daß diese Figur der mittelalterlichen Mythologie bei den Personen, die sich unserer Analyse unterziehen, ihre Rolle längst ausgespielt hat. Dem frommen Christen früherer Jahrhunderte war der Glaube an den Teufel nicht weniger Pflicht als der Glaube an Gott. In der Tat brauchte er den Teufel, um an Gott festhalten zu können. Der Rückgang der Gläubigkeit hat dann aus verschiedenen Gründen zuerst und zunächst die Person des Teufels betroffen.
    Wenn man sich getraut, die Idee des Teufels als Vaterersatz kulturgeschichtlich zu verwerten, so kann man auch die Hexenprozesse des Mittelalters in einem neuen Lichte sehen.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/15&oldid=- (Version vom 19.8.2020)