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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

Daß ein Mann durch den Tod seines Vaters eine melancholische Depression und Arbeitshemmung erwirbt, ist nichts Ungewöhnliches. Wir schließen daraus, daß er an diesem Vater mit besonders starker Liebe gehangen hat, und erinnern uns daran, wie oft auch die schwere Melancholie als neurotische Form der Trauer auftritt.

Darin haben wir gewiß recht, nicht aber, wenn wir weiter schließen, daß dies Verhältnis eitel Liebe gewesen sei. Im Gegenteil, eine Trauer nach dem Verlust des Vaters wird sich umso eher in Melancholie umwandeln, je mehr das Verhältnis zu ihm im Zeichen der Ambivalenz stand. Die Hervorhebung dieser Ambivalenz bereitet uns aber auf die Möglichkeit der Erniedrigung des Vaters vor, wie sie in der Teufelsneurose des Malers zum Ausdruck kommt. Könnten wir nun von Chr. Haitzmann soviel erfahren wie von einem Patienten, der sich unserer Analyse unterzieht, so wäre es ein leichtes diese Ambivalenz zu entwickeln, ihm zur Erinnerung zu bringen, wann und bei welchen Anlässen er Grund bekam, seinen Vater zu fürchten und zu hassen, vor allem aber die akzidentellen Momente aufzudecken, die zu den typischen Motiven des Vaterhasses hinzugekommen sind, welche in der natürlichen Sohn-Vaterbeziehung unvermeidlich wurzeln. Vielleicht fände dann die Arbeitshemmung eine spezielle Aufklärung. Es ist möglich, daß der Vater sich dem Wunsch des Sohnes Maler zu werden, widersetzt hatte; dessen Unfähigkeit, nach dem Tode des Vaters seine Kunst auszuüben, wäre dann einerseits ein Ausdruck des bekannten „nachträglichen Gehorsams“, anderseits würde sie, die den Sohn zur Selbsterhaltung unfähig macht, die Sehnsucht nach dem Vater als Beschützer vor der Lebenssorge steigern müssen. Als nachträglicher Gehorsam wäre sie auch eine Äußerung der Reue und eine erfolgreiche Selbstbestrafung.

Da wir eine solche Analyse mit Chr. Haitzmann, † 1700, nicht anstellen können, müssen wir uns darauf beschränken, diejenigen Züge seiner Krankengeschichte hervorzuheben, welche auf die typischen Anlässe zu einer negativen Vatereinstellung hinweisen können. Es sind nur wenige, nicht sehr auffällig, aber recht interessant.

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)