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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

die zwar an die Psychoanalyse glauben, aber nicht an den Teufel, und diese könnten mir vorhalten, es sei unsinnig, dem armen Kerl von Maler – hunc miserum nennt ihn der Geleitbrief – einen solchen Vorwurf zu machen. Die blutige Verschreibung war ja genau so phantasiert wie die angeblich frühere mit Tinte. In Wirklichkeit ist ihm ja überhaupt kein Teufel erschienen, der ganze Pakt mit dem Teufel existierte ja nur in seiner Phantasie. Ich sehe das ein; man kann dem Armen das Recht nicht bestreiten, seine ursprüngliche Phantasie durch eine neue zu ergänzen, wenn die geänderten Verhältnisse es zu erfordern schienen.

Aber auch hier gibt es noch eine Fortsetzung. Die beiden Verschreibungen sind ja nicht Phantasien wie die Teufelsvisionen; sie waren Dokumente, nach der Versicherung des Abschreibers wie nach dem Zeugnis des späteren Abtes Kilian im Archiv von Mariazell für alle sichtbar und greifbar aufbewahrt. Also stehen wir hier vor einem Dilemma. Entweder haben wir anzunehmen, daß der Maler die beiden ihm angeblich durch göttliche Huld zurückgestellten Schedae selbst zur Zeit verfertigt, da er sie brauchte, oder wir müßten den geistlichen Herren von Mariazell und St. Lambert trotz aller feierlichen Versicherungen, Bestätigungen durch Zeugen mit beigefügten Siegeln usw. die Glaubwürdigkeit verweigern. Ich gestehe, die Verdächtigung der geistlichen Herren fiele mir nicht leicht. Ich neige zwar zur Annahme, daß der Kompilator im Interesse der Konkordanz einiges am Zeugnis des ersten Abtes verfälscht hat, aber diese „sekundäre Bearbeitung“ geht nicht weit über ähnliche Leistungen, auch moderner und weltlicher Geschichtsschreiber hinaus und geschah jedenfalls im guten Glauben. Nach anderer Richtung haben sich die geistlichen Herren gegründeten Anspruch auf unser Vertrauen erworben. Ich sagte es schon, nichts hätte sie hindern können, die Berichte über die Unvollständigkeit der Heilung und die Fortdauer der Versuchungen zu unterdrücken, und auch die Schilderung der Beschwörungsszene in der Kapelle, der man mit einigem Bangen entgegensehen durfte, ist nüchtern und glaubwürdig geraten. Es bleibt also nichts übrig, als den Maler

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)