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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

zu beschuldigen. Die rote Verschreibung hatte er wohl bei sich, als er sich zum Bußgebet in die Kapelle begab, und zog sie dann hervor, als er von seiner Begegnung mit dem Dämon zu den geistlichen Beiständen zurückkehrte. Es muß auch gar nicht derselbe Zettel gewesen sein, der später im Archiv aufbewahrt wurde, sondern nach unserer Konstruktion kann er die Jahreszahl 1668 (neun Jahre vor der Beschwörung) getragen haben.


V. DIE WEITERE NEUROSE

Aber das wäre Betrug und nicht Neurose, der Maler ein Simulant und Fälscher, nicht ein kranker Besessener! Nun, die Übergänge zwischen Neurose und Simulation sind bekanntlich fließende. Ich finde auch keine Schwierigkeit, anzunehmen, daß der Maler diesen Zettel ebenso wie die späteren in einem besonderen, seinen Visionen gleichzustellenden Zustand geschrieben und mit sich genommen hat. Wenn er die Phantasie vom Teufelspakt und von der Erlösung durchführen wollte, konnte er ja gar nichts anderes tun.

Den Stempel der Wahrhaftigkeit trägt dagegen das Tagebuch aus Wien an sich, das er bei seinem zweiten Aufenthalt zu Mariazell den Geistlichen übergab. Es läßt uns freilich tief in die Motivierung oder sagen wir lieber Verwertung der Neurose blicken.

Die Aufzeichnungen reichen von seiner erfolgreichen Beschwörung bis zum 13. Januar des nächsten Jahres 1678. Bis zum 11. Oktober erging es ihm in Wien, wo er bei einer verheirateten Schwester wohnte, recht gut, dann aber fingen neue Zustände mit Visionen und Krämpfen, Bewußtlosigkeit und schmerzhaften Sensationen an, die dann auch zu seiner Rückkehr nach Mariazell im Mai 1678 führten.

Die neue Leidensgeschichte gliedert sich in drei Phasen. Zuerst meldet sich die Versuchung in Gestalt eines schön gekleideten Kavaliers, der ihm zureden will, den Zettel wegzuwerfen, der seine Aufnahme in die Bruderschaft vom heiligen Rosenkranz bescheinigt. Da er widerstand, wiederholte sich dieselbe Erscheinung am nächsten Tag,

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)