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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

werden mußte, mit Hilfe des geistlichen Standes auf Kosten seiner Freiheit und der meisten Genußmöglichkeiten des Lebens. Vielleicht war Chr. Haitzmann nur selbst ein armer Teufel, der eben kein Glück hatte, vielleicht war er zu ungeschickt oder zu unbegabt, um sich selbst zu erhalten, und zählte zu jenen Typen, die als „ewige Säuglinge“ bekannt sind, die sich von der beglückenden Situation an der Mutterbrust nicht losreißen können und durchs ganze Leben den Anspruch festhalten, von jemand anderem ernährt zu werden. Und so legte er in dieser Krankengeschichte den Weg vom Vater über den Teufel als Vaterersatz zu den frommen Patres zurück.

Seine Neurose erscheint oberflächlicher Betrachtung als ein Gaukelspiel, welches ein Stück des ernsthaften, aber banalen Lebenskampfes überdeckt. Dies Verhältnis ist gewiß nicht immer so, aber es kommt auch nicht gar so selten vor. Die Analytiker erleben es oft, wie unvorteilhaft es ist, einen Kaufmann zu behandeln, der „sonst gesund, seit einiger Zeit die Erscheinungen einer Neurose zeigt“. Die geschäftliche Katastrophe, von der sich der Kaufmann bedroht fühlt, wirft als Nebenwirkung diese Neurose auf, von der er auch den Vorteil hat, daß er hinter ihren Symptomen seine realen Lebenssorgen verheimlichen kann. Sonst aber ist sie überaus unzweckmäßig, da sie Kräfte in Anspruch nimmt, die vorteilhafter zur besonnenen Erledigung der gefährlichen Lage Verwendung fänden.

In weit zahlreicheren Fällen ist die Neurose selbständiger und unabhängiger von den Interessen der Lebenserhaltung und Behauptung. Im Konflikt, der die Neurose schafft, stehen entweder nur libidinöse Interessen auf dem Spiel oder libidinöse in inniger Verknüpfung mit solchen der Lebensbehauptung. Der Dynamismus der Neurose ist in allen drei Fällen der gleiche. Eine nicht real zu befriedigende Libidostauung schafft sich mit Hilfe der Regression zu alten Fixierungen Abfluß durch das verdrängte Unbewußte. Soweit das Ich des Kranken aus diesem Vorgang einen Krankheitsgewinn ziehen kann, läßt es die Neurose gewähren, deren ökonomische Schädlichkeit doch keinem Zweifel unterliegt.

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)