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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

machte, auf die lockendsten Anerbieten verzichten hieß. Seit der Beschwörung scheint die Melancholie überwunden, alle Gelüste des Weltkindes sind wieder rege.

In einer der asketischen Visionen beklagt er sich gegen die ihn führende Person (Christus), daß ihm niemand glauben wolle, so daß er dessentwegen, was ihm anbefohlen, nicht vollziehen könne. Die Antwort, die er darauf erhält, bleibt uns leider dunkel („so fer man mir nit glauben, waß aber geschechen, waiß ich wol, ist mir aber selbes auszuspröchen vnmöglich“). Besonders aufklärend ist aber, was ihn sein göttlicher Führer bei den Einsiedlern erleben läßt. Er kommt in eine Höhle, in der ein alter Mann schon seit 60 Jahren sitzt, und erfährt auf seine Frage, daß dieser Alte täglich von den Engeln Gottes gespeist wird. Und dann sieht er selbst, wie ein Engel dem Alten zu essen bringt: „Drei Schüßerl mit Speiß, ein Brot und ein Knödl und Getränk“. Nachdem der Einsiedler gespeist, nimmt der Engel alles zusammen und trägt es ab. Wir verstehen, welche Versuchung die frommen Visionen zu bieten haben, sie wollen ihn bewegen, eine Form der Existenz zu wählen, in der ihm die Nahrungssorgen abgenommen sind. Beachtenswert sind auch die Reden Christi in der letzten Vision. Nach der Drohung, wenn er sich nicht füge, werde etwas geschehen, daß er und die Leute [daran] glauben müßten, mahnt er direkt: „Ich solle die Leith nit achten, obwollen ich von ihnen verfolgt wurdte, oder von ihnen keine hilfflaistung empfienge, Gott würde mich nit verlasßen.“

Ch. Haitzmann war soweit Künstler und Weltkind, daß es ihm nicht leicht fiel, dieser sündigen Welt zu entsagen. Aber endlich tat er es doch mit Rücksicht auf seine hilflose Lage. Er trat in einen geistlichen Orden ein; damit war sein innerer Kampf wie seine materielle Not zu Ende. In seiner Neurose spiegelt sich dieser Ausgang darin, daß die Rückstellung einer angeblich ersten Verschreibung seine Anfälle und Visionen beseitigt. Eigentlich hatten beide Abschnitte seiner dämonologischen Erkrankung denselben Sinn gehabt. Er wollte immer nur sein Leben sichern, das erste Mal mit Hilfe des Teufels auf Kosten seiner Seligkeit, und als dieser versagt hatte und aufgegeben

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/32&oldid=- (Version vom 31.7.2018)