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waren vor etwa 50 Jahren vor der öffentlichen Meinung gewissermaßen in die Acht erklärt. Man konnte sich in Deutschland trotz aller Kulturfortschritte nicht zur Auffassung des klassischen Altertums aufschwingen. Es herrschte vielfach die Ansicht: die Homosexualität werde ausschließlich von übersättigten Lebemännern, die an dem Umgang mit Weibern keinen Gefallen mehr finden, ausgeübt. Vielfach ist ja diese Ansicht noch heute verbreitet, im allgemeinen ist aber das Publikum durch die vielen Vorkommnisse im praktischen Leben und nicht zum wenigsten durch die verschiedenen Gerichtsverhandlungen eines anderen belehrt worden. – Im fünften Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts erschien aus der Feder des Berliner Polizeidirektors Dr. juris Stieber[WS 1] eine Broschüre unter dem Titel: „Die Verbrecherwelt von Berlin“. In dieser widmete Dr. Stieber auch den „Päderasten“, wie es damals hieß, ein längeres Kapitel. Dr. Stieber schwang sich aber doch zu der Auffassung auf, daß die „Päderasten“ sich wohl vielfach gegen die Strafgesetze vergehen, daß sie aber dennoch keine Verbrecher und im allgemeinen harmlos seien. „Es ist auch nicht Aufgabe der Polizei, den Päderasten besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, zumal diese Leute im allgemeinen nicht zu den öffentlichen Schädlingen gehören.“ – Anfang der 1860er Jahre passierte es dem Frankfurter Rechtsanwalt Dr. juris Baptiste v. Schweitzer[WS 2], daß er in Mannheim wegen homosexueller Betätigung gerichtlich bestraft und infolgedessen aus dem Anwaltsstande ausgeschlossen wurde. Er schloß sich alsdann dem von Ferdinand Lassalle begründeten Allgemeinen deutschen Arbeiterverein als Mitglied an. Einige Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins nahmen an der Verfehlung Schweitzers Anstoß. Ferdinand Lassalle sagte jedoch: „Die Tat Schweitzers ist ja nicht schön, ich erblicke aber darin keineswegs ein Verbrechen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wilhelm Stieber (1818–1882), Geheimer Regierungsrat, Chef der Feldpolizei.
  2. Johann Baptist von Schweitzer (1833–1875), Präsident des ADAV.
Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Aus dem homosexuellen Leben Alt-Berlins. Max Spohr, Leipzig 1914, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Aus_dem_homosexuellen_Leben_Alt-Berlins.djvu/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)