das „scherzweise“ erfolgte Wasserbegießen in den Nacken der Kranken, die eidlichen Bekundungen, wie das Schlagen mit dem Schlüsselbund auf den Kopf, war etwas Alltägliches, und daß ein Kranker, namens Krämer, infolge von Schlägen mit dem Schlüsselbund am anderen Morgen gestorben ist. Im Mosseschen Insertionskalender zeigen die Alexianerbrüder an, daß die Kranken in zweckentsprechender Weise in ihren Klöstern beschäftigt werden. Wie diese zweckentsprechende Beschäftigung ausgeübt wird, hat die Verhandlung bewiesen. In unseren Gefängnissen ist die Anwendung von Strafmitteln verboten, und in den Zuchthäusern darf die Prügelstrafe nur im äußersten Falle unter Genehmigung des Arztes und des Geistlichen angewendet und gesetzlich muß darüber in der genauesten Weise an die vorgesetzte Behörde berichtet werden. Und hier maßten sich Leute an, hilflose Kranke, die ihrer Sinne nicht mächtig sind, in einer aller Menschlichkeit hohnsprechenden Weise zu mißhandeln. Ist das nicht gottlos? Und wenn dies von Leuten geschieht, die die Krankenflege im Namen Gottes ausüben, so ist das scheinheilig. Der Wahrheitsbeweis ist Herrn Mellage in allen Dingen gelungen. Und auch die Behauptungen, die in der Broschüre gegen Herrn Sanitätsrat Dr. Capellmann enthalten, sind vollständig erwiesen. Denn ich muß sagen, wenn Herr Dr. Capellmann, der 30 Jahre Anstaltsarzt gewesen, von den unerhörten Vorgängen im Alexianerkloster wirklich keine Kenntnis gehabt hat, dann ist das ebenso schlimm, als wenn er sie geduldet hätte. Objektiv hat der Angeklagte Mellage in allen Beziehungen den vollen Beweis der Wahrheit erbracht. Wenn er in subjektiver Hinsicht vielleicht etwas zu weit gegangen sein sollte, so ist doch zu erwägen, daß er mit Recht über derartige aller Menschlichkeit Hohn sprechende Zustände in einer christlichen Krankenanstalt seiner Entrüstung Ausdruck gegeben hat. Ich kann mir nicht denken, daß der hohe Gerichtshof ein Urteil fällen wird, von dem man sagen könnte
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/132&oldid=- (Version vom 27.3.2023)