Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/242

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etwas Faszinierendes, sie hat etwas in ihren Augen, was Unbefangene beeinflussen kann. Sie hat auch in den sechs Verhandlungstagen große Selbstbeherrschung an den Tag gelegt. In selbstbewußter, kluger und sicherer Weise hat sie die Sitzungen mit Jentsch vorbereitet. Vorher wurde alles aufs Sorgfältigste geprüft, Ärzte und Naturwissenschaftler wurden soviel als möglich von den Sitzungen ausgeschlossen. Abgesehen von dem Falle, in dem sie von der Polizei überführt wurde, ist sie auch in vielen anderen Fällen überführt worden. Ihre Trancereden bestanden zumeist aus religiösen Bemerkungen, die sich leicht auswendig lernen lassen. Sie benutzte dazu ein Gesangbuch aus dem Jahre 1839. Es ist auch nicht richtig, daß sie während der Trancereden bewußtlos war. Möge sie sich auch in einem Zustande von Halbtraum befunden haben, ihre Willenskraft war keineswegs ausgeschlossen. Sie hat mit vollem Bewußtsein den Zuhörern vorgespiegelt: ich kann euch Grüße von den Geistern in Form von Blumen, Apfelsinen und anderen Gegenständen bringen. Sie war derartig bei Bewußtsein, daß sie die Taschenspielerstückchen mit Geschick ausführen konnte. Die Angeklagte ist in 59 Fällen des Betruges überführt. Bei der Strafabmessung ist zu berücksichtigen, daß das Treiben der Angeklagten gemeingefährlich war. Sie hat mit ihrem Betriebe auf die heiligsten Gefühle der Menschen spekuliert. Sie verdient deshalb die schärfste Verurteilung, weil sie gehandelt hat, um materielle Vorteile zu erringen. Ihr Treiben ist auch deshalb gefährlich, weil sie Gemüter, die viel- leicht schon ins Schwanken gekommen waren, noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Ich beantrage 2 Jahre 6 Monate Gefängnis, unter Anrechnung von 6 Monaten auf die Untersuchungshaft, außerdem 500 Mark Geldstrafe, eventuell noch fünfzig Tage Gefängnis. –

Vert. R.-A. Dr. Schwindt: Ich erlaube mir zunächst daran zu erinnern, daß die Vorgängerin der Angeklagten, das frühere Medium Valeska Töpfer nur zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt