Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/243

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

worden ist. Weshalb die Angeklagte um soviel schärfer bestraft werden soll, ist nicht recht einzusehen. Der Gerichtshof wird nicht erwarten, daß ich mich mit den Problemen beschäftigen werde, die in sechstägiger Verhandlung erörtert worden sind. Ob der Glaube der Spiritisten ein berechtigter oder ein Köhlerglaube ist, kann dahingestellt bleiben. Diese Leute fühlen sich glücklich dabei, man soll ihnen deshalb ihren Glauben lassen. Ich habe aber Bedenken, ob in rechtlicher Beziehung Betrug vorliegt. Es kommt doch dabei auf Leistung und Gegenleistung an und auch, ob die Angeklagte sich in gutem Glauben befunden hat. Die Angeklagte hat nicht eine bestimmte Leistung, sondern für das Eintrittsgeld nur die Möglichkeit versprochen, einer Sitzung beizuwohnen. Sie hat niemals bestimmt in Aussicht gestellt, daß ihre Experimente gelingen werden. Man kann sich doch unmöglich auf den Standpunkt stellen, daß diese Kesselschmiedefrau mit ihren geistigen Fähigkeiten über dem Erkennungsvermögen der vielen hochgebildeten Leute stehen muß, die sie aufsuchten und mit ihr an überirdische, übersinnliche Dinge glaubten. Sie hat sicher nicht weniger geglaubt als alle anderen, sie ist eben eine unter vielen. Sie glaubte, ein gutes Werk zu tun, bis sie von Jentsch entdeckt wurde. Von diesem Zeitpunkt ab erhielt allerdings die Sache einen etwas geschäftlichen Charakter. Die Teilnehmer an den Sitzungen mögen über das Gesehene enttäuscht, in ihren inneren Empfindungen gekränkt gewesen sein, von einem Betruge in juristischem Sinne kann aber keine Rede sein. Wenn der Gerichtshof anderer Meinung ist, dann ist nicht abzusehen, weshalb der Staatsanwalt eine so außerordentlich hohe Strafe beantragt hat. Der eine Sachverständige hat die Angeklagte eine pathologische Betrügerin genannt; es ist das eigentlich ein Widerspruch. Jedenfalls ist die Angeklagte eine hysterische, leicht erregbare Person. Sie sitzt über Jahr und Tag in Untersuchungshaft. Wenn sie verurteilt werden sollte, dann würden sechs Monate, die auf die Untersuchungshaft