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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Gefühle, noch durch die öffentliche Meinung irgendwie beeinflussen zu lassen, sondern lediglich zu prüfen, reichen die hier vorgeführten Beweise aus, um den Angeklagten zu verurteilen. Bei einem bloßen Indizienbeweis, noch dazu, wo es sich um den Kopf eines Menschen handelt, ist es doppelte Pflicht der Geschworenen, recht sorgfältig zu erwägen: ist der Angeklagte schuldig. So sehr erwünscht es ist, daß das Verbrechen eine Sühne findet, so ist es doch ebenso notwendig, darauf zu achten, daß der richtige Täter bestraft wird. Der Herr Staatsanwalt sagte: Die Tat kann nur ein sittlich verkommener Mensch begangen haben. Der Angeklagte ist seit 18 Jahren Zuhälter. Nur einem solchen Zuhälter ist die Tat zuzutrauen. Ich kann dem Herrn Staatsanwalt keineswegs beistimmen. Sittlichkeitsverbrechen werden keineswegs vorwiegend von Zuhältern begangen. Im Gegenteil, die Erfahrung lehrt, daß Sittlichkeitsverbrechen weniger von der Hefe des Volkes, sondern zumeist von den besitzenden und gebildeten Klassen begangen werden. Ich erinnere an den in diesem Saale geführten Prozeß Sternberg. Herr Sternberg gehörte zu der Elite der Gesellschaft, er war ein vielfacher Millionär, ein gebildeter Mann, er hat aber trotzdem zahlreiche Sittlichkeitsverbrechen gegen kleine Mädchen begangen.[1] Der Umstand, daß der Angeklagter ein alter Zuhälter ist, kann ihn noch nicht verdächtigen. In diesem Hause finden täglich Prozesse wegen Sittlichkeitsverbrechen gegen Angehörige aller Gesellschaftsstände statt. Sie wissen, daß anfänglich sich der Verdacht mit voller Bestimmtheit auf Lenz gelenkt hat. Der aufgefundene Korb ist nicht ein solches Indicium, um den Angeklagten zu verurteilen. Der Angeklagte hätte wirklich nicht nötig gehabt, von einem Mädchen zu erzählen, er konnte ja sagen: das Mädchen, das mit dem „Mulatten-Albert“ in der Liebethrutschen Wohnung war, hat mir den Korb gestohlen. Diese Artistin ist bis heute


  1. Vgl. die ausführliche Schilderung dieses Prozesses in Bd. 2.
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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)