Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 7 (1912).djvu/72

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

deckt hatten, wurde die Rückkehr nach Berlin gestattet. Man hoffte, was den antisemitischen Geistlichen, Lehrern, ehemaligen Offizieren, Hilfsarbeitern in den Ministerien und ähnlichen Leuten nicht gelingen wollte, werde sicherlich den ehemaligen beliebten Führern der Sozialdemokratie gelingen. Die Arbeiter, soweit sie nicht ausgewiesen sind, würden, wenn Körner und Finn zu ihnen sprechen, sofort sich zum Antisemitismus bekehren. Als aber Körner und Finn im Februar 1881 eine Arbeiterversammlung nach einem großen Saale im Norden Berlins beriefen, wurden sie von den Arbeitern nicht nur furchtbar ausgepfiffen, sondern auch derartig behandelt, daß sie es für geraten hielten, durch eine Hintertür zu verschwinden. Sie sind bisher niemals mehr an die Oberfläche gekommen. Allein der Antisemitismus nahm, einmal durch den Niedergang der wirtschaftlichen Verhältnisse, andererseits aber auch durch hohe maßgebende Kreise begünstigt, eine ungeheure Verbreitung. Man begnügte sich in gewissen Kreisen Deutschlands nicht mit Ausnahmegesetzen gegen die Katholiken und Sozialdemokraten, man verlangte auch, allerdings vergeblich, Ausnahmegesetze gegen die Juden. Selbst in Berlin waren antisemitische Anrempelungen in vornehmen Restaurants und Cafes, ja sogar auf offener Straße und in Straßenbahnwagen keine Seltenheiten. In den antisemitischen Versammlungen wurde geradezu das Faustrecht proklamiert. Es war keine Seltenheit, daß Christen antisemitischer Gesinnung, die jedoch ein brünettes Äußere hatten, von ihren Gesinnungsgenossen, lediglich ihres „verdächtigen" Aussehens wegen, stark verbläut wurden. Im November 1880 erschien von notablen Christen ein öffentlicher Aufruf, in dem die Judenhetze als kulturwidrig bezeichnet wurde. Der damalige Kronprinz, spätere Kaiser Friedrich nahm Veranlassung, die antisemitische Bewegung öffentlich als Schmach des Jahrhunderts zu bezeichnen. In Pommern, Ost- und Westpreußen kam es zu offenen Krawallen. In Rußland begannen

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/72&oldid=- (Version vom 28.3.2023)