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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

blutige Judenverfolgungen, die sich sehr bald auf Österreich-Ungarn ausdehnten. — Anfang: April 1882 verschwand in dem ungarischen Dorfe Tisza-Eszlar ein vierzehnjähriges christliches Dienstmädchen, namens Esther Solymosi. Es wurde sehr bald die Beschuldigung laut: Die Juden haben das Mädchen zu rituellen Zwecken geschlachtet. Die Beschuldigung wurde ganz besonders von dem Gutsherrn des Dorfes, dem antisemitischen Reichsratsabgeordneten v. Onody, geschürt. Eine regelrechte Judenverfolgung setzte ein, zumal eine Anzahl Leute die Beobachtung gemacht haben wollten, daß des Nachts in der Nähe der Synagoge ein blutiger Schatten husche, der der Gestalt des verschwundenen Mädchens ähnlich sehe. Der Untersuchungsrichter des zuständigen Kreisgerichts Nyiregyhäza sandte den zweiundzwanzigjährigen Referendar Josef Bary nach Tisza Eszlar. Dieser lauerte dem vierjährigen Söhnchen des Tempeldieners Scharf auf. Aus dem Geplapper dieses armseligen Kindes glaubte der „Hüter des Rechts" zu entnehmen, daß der Tempeldiener Scharf und eine Anzahl anderer Juden das Mädchen in der Synagoge geschlachtet haben. Der Referendar verfügte die Verhaftung der verdächtigen Juden. Allein auf Grund der Aussagen eines vier jährigen Kindes war eine Verurteilung wegen Mordes nicht zu erzielen. Der Referendar hatte aber auch erfahren, daß der Tempeldiener bereits einen dreizehnjährigen Sohn, mit Vornamen Moritz habe. Wenn dieser, der zur damaligen Zeit in Ungarn eidesmündig war, eidlich bekunden würde, daß er die Abschlachtung des Mädchens in der Synagoge beobachtet habe, dann war eine Verurteilung zu erzielen. Referendar Bary ließ kurzerhand Moritz Scharf verhaften, in Ketten legen und nach Nyregyhäza transportieren. Dort wurde der arme Junge aufgefordert, ein Geständnis abzulegen. Da er aber fortdauernd beteuerte: er habe nicht gesehen, daß Esther Solymosi ermordet worden sei, so befahl der Referendar den Panduren, den Knaben zu schlagen,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/73&oldid=- (Version vom 28.3.2023)