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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1

in Berlin ein Berichterstatter, der hauptsächlich über Vorkommnisse in den Straßen Berlins schrieb. Er beschäftigte einen 17jährigen Laufburschen. Dieser mußte nicht nur täglich mehrfach die Berichte zu den Berliner Redaktionen tragen, er hatte auch die Aufgabe, dem Berichterstatter von ihm beobachtete Vorkommnisse zu erzählen; er erhielt dafür je nach der Güte des Vorkommnisses eine Gratifikation. Am Nachmittag des 12. Mai 1878 hatte der junge Mann wiederum einen Rundgang zu den Berliner Zeitungsredaktionen zu machen. Gegen 3½ Uhr nachmittags kam er nach Hause. Der Berichterstatter wohnte am Neuen Markt. Die Frage, ob etwas passiert sei, verneinte der Laufbursche. Etwa 20 Minuten später erfuhr der Reporter durch Extrablätter von dem Attentat auf den Kaiser. Er fragte den jungen Mann, ob er denn nicht gegen 3¼ Uhr nachmittags Unter den Linden gewesen sei und von dem Attentat etwas gehört habe. „Gewiß,“ versetzte der junge Mann mit voller Seelenruhe, „ich habe gesehen, wie ein junger Mann Unter den Linden auf den Kaiser geschossen hat. Ich habe den flüchtenden Attentäter sogar mit festgehalten und ihn einem Schutzmann übergeben.“ „Und du hast mir auf meine Frage geantwortet, es ist nichts passiert?“ „Das war doch auch nichts,“ versetzte der Laufbursche mit größter Seelenruhe. –


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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)