Seite:Gefährliche Sammelwut.pdf/4

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Gefährliche Sammelwut. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 10. Bd., S. 170–172

zu setzen. Er erließ eine öffentliche Bekanntmachung, in der er aus eigenen Mitteln für jeden Giftschlangenkopf nicht weniger als zwei Rupien (3,80 M) zu zahlen versprach. Der Erfolg dieses Erlasses war ein ebenso überraschender wie trauriger. Die ärmeren Schichten der indischen Bevölkerung, für die zwei Rupien ein kleines Vermögen bedeuteten, ließen mit einem Male sämtlich ihre Arbeit im Stich und durchsuchten die Wälder, Sümpfe und die undurchdringlichsten Dschungeln nach gefährlichen Giftschlangen. Jung und alt widmete sich mit Feuereifer und wahrer Todesverachtung diesem lohnenden Sammelsport, und bereits in den ersten drei Tagen wurden nicht weniger als 320 Reptilien in dem Palaste des Gouverneurs abgeliefert. Ruhig ließ Sir Mousgrave den Überbringern der frischen Schlangenköpfe ihre Belohnung auszahlen. Seine Hoffnung auf einen durchschlagenden Erfolg seiner anscheinend so großmütigen Bekanntmachung mehrte sich. Aber die Enttäuschung kam bald nach. Immer häufiger liefen aus den verschiedenen Dörfern der Provinz Meldungen ein, daß Leute bei der Schlangenjagd gebissen und kläglich ums Leben gekommen wären. Und schon nach einem Monat sah Sir Mousgrave sich veranlaßt, jene Bekanntmachung aufs nachdrücklichste zu widerrufen. Denn ihr Resultat in diesen vier Wochen war folgendes: Es wurden 1872 Giftschlangen erlegt, beim Fangen aber von dem giftbewehrten Wilde nicht weniger als 143 Menschen, darunter 18 Europäer, getötet. Der Gouverneur der Provinz Sirna blieb auch nur drei Monate auf seinem Posten. Die indische Kolonialregierung hielt es im Interesse ihrer Untertanen für ratsamer, ihn schleunigst abzurufen. – Eine ähnliche Sammelepidemie brach unlängst in der englischen Stadt Middlesborough aus, nur daß es sich hier um ungefährlichere Objekte handelte und die ganze Geschichte mehr einen komischen Anstrich hatte. Ein Assistent am hygienischen Institut von Middlesborough mit Namen Mattison war ein überaus eifriger Verfechter der Ansicht, daß die Fliegen als Träger und Verbreiter von Krankheitserregern für die öffentliche Gesundheitspflege eine schwere Gefahr darstellten. Um nun nach

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Gefährliche Sammelwut. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 10. Bd., S. 170–172. Verlag der Bibliothek für Alle, Dresden 1912, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gef%C3%A4hrliche_Sammelwut.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)