Zum Inhalt springen

Gefährliche Sammelwut

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gefährliche Sammelwut
Untertitel:
aus: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 10. Bd., S. 170–172
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Unter Etwas über Sammelwut erschien der Artikel mit kleinen Änderungen ebenso in: Mein Oesterreich! Illustrierte Monatsschrift für die Jugend, Jahrgang 1911, S. 360.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[170] Gefährliche Sammelwut.

Als Sir Robert Mousgrave im Jahre 1891 seinen Posten als Gouverneur der indischen Provinz Sirna antrat, hörte er zu seinem Entsetzen von seinen Beamten, daß in dem vergangenen Jahre in dem Verwaltungsbezirk Sirna nicht weniger als vierhundert Menschen von Giftschlangen getötet worden seien. Sir Mousgrave, der über ein großes Vermögen verfügte, gedachte nun trotz des Abratens seiner Unterbeamten mit einem Schlage der Reptilienplage Herr zu werden und sich dadurch bei seinen Vorgesetzten in ein besonders gutes Licht [171] zu setzen. Er erließ eine öffentliche Bekanntmachung, in der er aus eigenen Mitteln für jeden Giftschlangenkopf nicht weniger als zwei Rupien (3,80 M) zu zahlen versprach. Der Erfolg dieses Erlasses war ein ebenso überraschender wie trauriger. Die ärmeren Schichten der indischen Bevölkerung, für die zwei Rupien ein kleines Vermögen bedeuteten, ließen mit einem Male sämtlich ihre Arbeit im Stich und durchsuchten die Wälder, Sümpfe und die undurchdringlichsten Dschungeln nach gefährlichen Giftschlangen. Jung und alt widmete sich mit Feuereifer und wahrer Todesverachtung diesem lohnenden Sammelsport, und bereits in den ersten drei Tagen wurden nicht weniger als 320 Reptilien in dem Palaste des Gouverneurs abgeliefert. Ruhig ließ Sir Mousgrave den Überbringern der frischen Schlangenköpfe ihre Belohnung auszahlen. Seine Hoffnung auf einen durchschlagenden Erfolg seiner anscheinend so großmütigen Bekanntmachung mehrte sich. Aber die Enttäuschung kam bald nach. Immer häufiger liefen aus den verschiedenen Dörfern der Provinz Meldungen ein, daß Leute bei der Schlangenjagd gebissen und kläglich ums Leben gekommen wären. Und schon nach einem Monat sah Sir Mousgrave sich veranlaßt, jene Bekanntmachung aufs nachdrücklichste zu widerrufen. Denn ihr Resultat in diesen vier Wochen war folgendes: Es wurden 1872 Giftschlangen erlegt, beim Fangen aber von dem giftbewehrten Wilde nicht weniger als 143 Menschen, darunter 18 Europäer, getötet. Der Gouverneur der Provinz Sirna blieb auch nur drei Monate auf seinem Posten. Die indische Kolonialregierung hielt es im Interesse ihrer Untertanen für ratsamer, ihn schleunigst abzurufen. – Eine ähnliche Sammelepidemie brach unlängst in der englischen Stadt Middlesborough aus, nur daß es sich hier um ungefährlichere Objekte handelte und die ganze Geschichte mehr einen komischen Anstrich hatte. Ein Assistent am hygienischen Institut von Middlesborough mit Namen Mattison war ein überaus eifriger Verfechter der Ansicht, daß die Fliegen als Träger und Verbreiter von Krankheitserregern für die öffentliche Gesundheitspflege eine schwere Gefahr darstellten. Um nun nach [172] Möglichkeit zur Vertilgung der Fliegen beizutragen, machte er in der Zeitung bekannt, er würde für je 50 Stubenfliegen oder je ein Dutzend Schweißfliegen je einen Penny bezahlen, wenn sie sauber auf Nadeln aufgespießt im hygienischen Amt abgeliefert würden. Unter der Straßenjugend von Middlesborough brach natürlich infolge dieser glänzenden Aussichten auf leichten Verdienst eine wahre Begeisterung für das Fliegenfangen aus. Ein Junge lieferte allein auf einmal 1200 Fliegen ab, und in vier Tagen lagen im hygienischen Amt nicht weniger als 125 000 Fliegen, auf Nadeln aufgespießt und auf Pappstücken und Holzdeckeln befestigt, aufgestapelt. Aber mit dem Fliegenhandel war auch in die bisher so stillen Räume des städtischen Gesundheitsamtes der Teufel der Unruhe eingezogen. Die dort beschäftigten Beamten mußten ihre Arbeit liegen lassen und zählten Fliegen, nur um die Scharen der zerlumpten kleinen Burschen und Mädchen abzufertigen, die mit ihrer Jagdbeute in den Händen rufend und schreiend die Korridore erfüllten. Schon am fünften Tage war die Situation so unhaltbar geworden, daß der fliegenfeindliche Assistent seine Bekanntmachung widerrufen mußte. So endete dieser humorvolle Vernichtungskrieg gegen die Fliegen, der immerhin einigen Hunderttausenden der surrenden Sippe das Leben gekostet hatte.

W. Kabel.