Zum Inhalt springen

Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/114

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

erhöhter Estrade steht mit erhobner Hand Christus, das Wasser in Wein verwandelnd. Die Hauptfiguren, die sich dem Auge unmittelbar aufdrängen, sind die scharf charakterisierten Figuren des Vordergrunds: der dicke Kellermeister, der mit lachendem Gesicht dem vergnügt schmunzelnden Geiger ein Glas des Wunderweins anbietet; auf den Stufen ganz vorn an das grosse bekränzte Fass hingerekelt ein Weib, das mit stumpfsinnigem Ausdruck einem Jungen auch von dem Wein zu trinken giebt. Wollte stehen die Legende nur leichtsinnig verspotten? Oder wollte er sagen: für die niedre Menschensorte wird auch ein Wundertrank zu etwas gemeinem, zu einem gemeinen Genuss, der plumpe Sinnenmensch spürt den Geist nicht, auch wenn er ihm in einem Wunder erschiene? Vielleicht ist das der Gedanke des Bildes.

Zur Schule von Delft gehört ein gegenwärtig besonders hochgeschätzter und vielgepriesner Meister: Jan Vermeer oder van der Meer (1632–1675). Er war Schüler eines der hervorragendsten Schüler Rembrandts, des Karel Fabritius, der sich nach seinen Studienjahren in Amsterdam in seiner Heimatstadt Delft niedergelassen hatte. Wie überall, wo sich rembrandtscher Einfluss zeigte, äusserte er sich auch bei diesen delfter Genremalern vor allem in der Behandlung des Lichts, in der Ausbildung des Helldunkels. Eben hierin war Vermeer ein vollendeter und zugleich sehr eigenartiger Meister, eigenartig besonders in der Behandlung der Lokalfarben innerhalb der zartesten Licht- und Helldunkelstimmungen. Indem er die Lokalfarben bis zu einem gewissen Grade hervorhob, indem er sie nicht völlig in Ton auflöste, erreichte er durch die überaus feinfühlige, vielfach wesentlich neue Art ihrer Zusammenstellung malerische Wirkungen von ganz eigenem Reiz. Er hat interessante Farbenkombinationen von überraschender Neuheit; ein zartes Hellblau und ein feinschimmerndes Citronengelb verwendete er mit besonderer Vorliebe und besonderem Geschmack. – Unter seinen Bildern, die in der Regel grösseres Format haben als die Stücke der erwähnten Kabinetsmaler, ist eines der schönsten die „Briefleserin“ in der dresdner Galerie (s. d. Abb.): ein junges Mädchen, das einen Brief, sicher einen Liebesbrief, lesend vor dem geöffneten Fenster steht. Ein wundervoll warmes und zartes Sonnenlicht strömt in das einfache Gemach, die ins Lesen ganz still Vertiefte weich umschmeichelnd und alles umher mit einem goldigen Duft überhauchend. Wie sich in diesem Lichtschimmer die Gestalt des Mädchens, ihr blondes Köpfchen und ihr mattgelbes Mieder von dem feinen Grau der hohen Zimmerwand abhebt, wie die Farben der Umgebung, das Rot der Fenstergardine, das Blassgrün des Vorhangs rechts und das bunte Muster der Tischdecke in dem Lichtton zu einander gestimmt sind, das ist für ein malerisch empfindendes Auge schon an sich höchst reizend. Aber wie stimmungsvoll auch im poetischen Sinne wirken hier Farbe und Licht! – Der dem Vermeer künstlerisch am nächsten verwandte, an Bedeutung ihm gleichstehende Meister, Pieter de Hooch, ist in der dresdner Galerie leider nicht vertreten.

Unter den Meistern, die in Amsterdam mit Rembrandt gleichzeitig thätig waren, ist der berühmte Bildnismaler Bartholomäus van der Helst zunächst schon dadurch merkwürdig, dass er von Rembrandt so gut wie gar nicht beeinflusst wurde. In Haarlem geboren (1611 oder 1612), kam er in jungen Jahren nach Amsterdam, wo vermutlich Nicolas Elias, einer der besten Bildnismaler der vorrembrandtschen Zeit, sein Lehrer wurde. Die einfache, klare, schlicht objektive Auffassung, wie sie diesem Meister,

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/114&oldid=- (Version vom 27.12.2024)