Luftton, das Eigenartige des atmosphärischen Lebens; das Licht, kann man sagen, und die Atmosphäre waren dann der eigentliche Gegenstand der Schilderung. Wo sich figürliche Staffage findet, spielt sie stets eine durchaus untergeordnete Rolle, oft fehlt sie gänzlich, das Hauptthema ist die Natur selbst, die Natur für sich allein. In der weiteren Entwicklung der Landschaftsmalerei im Norden blieb die Stimmungslandschaft der eigentlich charakteristische Typus. Hier fand die Art der holländischen Naturschilderung die nächste bedeutende Fortsetzung bei den Engländern in der zweiten Hälfte des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts, in den Landschaften Gainsboroughs und Constables, bei den Franzosen in dem von Constable ganz unmittelbar beeinflussten Paysage intime.
Rembrandt, der auch als Landschaftsmaler von der hervorragendsten Bedeutung ist, fehlt als solcher in der dresdner Galerie[1]; die meisten aber der Holländer, die in der Landschaft das Hauptfeld ihres Schaffens hatten, vor allen der grosse Jacob Ruisdael, sind mit ausgezeichneten Werken vertreten.
Von einem Meister, der zehn Jahre vor Rembrandt geboren, anfangs noch der älteren Manier der niederländischen Landschaftsmalerei folgte, später aber zu einem Bahnbrecher für die neue Richtung wurde, von Jan van Goyen hat die Galerie drei Landschaften, von denen zwei zu den Hauptwerken dieser späteren Periode gehören, beide vom Jahre 1643. Die hier wiedergegebne ist eine der einfachen Flusslandschaften, wie sie Van Goyen in eben dieser Zeit mit besonderer Vorliebe malte: zwischen flachen Ufern ein Fluss, der vorn die ganze Breite des Bildes einnimmt und sich in die Tiefe bis an den weit zurückweichenden Horizont hinzieht; links im Vordergrund ein Nachen mit Fischern, auf dem rechten Ufer zwischen Bäumen eingebettet eine Reihe von Bauernhäusern, auf dem linken eine Dorfkirche, auf dem Fluss bis weit hinaus in die Ferne still hingleitende Schiffe. Das Charakteristische des Bildes liegt vor allem in der Art der Tönung. Von den eigentümlichen Lichtstimmungen, die sich in der feuchten Luft Hollands erzeugen, hat Van Goyen besonders bezeichnende zuerst mit malerischem Blick erfasst. Hier, in unserm ausserordentlich leicht und sicher hingeschriebnen Bilde hat er die Stimmung eines holländischen Sommertags geschildert. Das Sonnenlicht erscheint in der weichen, feindunstigen Atmosphäre, die das Ganze einhüllt, warm gelblich getönt, Alles ist eingetaucht in diesen duftigen, warm leuchtenden Ton, so dass nirgends eine bestimmte Lokalfarbe zum Vorschein kommt. Jede Farbenbesonderheit ist in dem Alles umfliessenden Licht- und Luftton gleichsam aufgezehrt. In anderen Bildern Van Goyens sind andere, herbstliche oder winterliche Stimmungen mit gleicher Feinheit wiedergegeben; bisweilen macht sich allerdings auch eine gewisse Manieriertheit in seiner Tongebung bemerklich.
Der grösste Poet unter den holländischen Landschaftsmalern, das grösste malerische Genie, das Holland neben Rembrandt hervorgebracht hat, Jacob van Ruisdael, glänzt in der dresdner Galerie mit einer Reihe seiner bedeutendsten Werke. Ausser den dreien, die Goethe in seinem klassischen Aufsatz „Ruisdael als Dichter“ beschrieben hat, ausser dem „Judenkirchhof“, dem „Kloster“ und dem „Wasserfall vor dem Schlossberg“ besitzt die Galerie noch neun Gemälde des Meisters, darunter eines, das gleiche Berühmtheit hat wie die von Goethe beschriebnen: die „Jagd“ (s. d. Abb.), eine der grossen Waldlandschaften, für die Ruisdael die Motive öfters den an Holland unmittelbar angrenzenden deutschen Gegenden entlehnte. Über den Wipfeln des prachtvollen Eichenwalds, in dessen Innres
- ↑ Die früher Rembrandt zugeschriebene Landschaft in der dresd. Gal. ist ein Werk seiner Schule, nach Bode (Studien zur Gesch. der holl. M., S. 490) vielleicht ein Werk von A. de Gelder.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/116&oldid=- (Version vom 27.12.2024)