wir blicken, steht zur linken graues Gewittergewölk, auf der rechten Seite hat der Himmel sich aufgehellt, von da geht ein herrliches Leuchten und Glänzen durch den stillen Waldesgrund; vorn spiegelt sich das Sonnenlicht in der breiten durch Regengüsse entstandenen Wasserlache, die freistehenden mächtigen Baumstämme erglänzen in seinem Wiederschein, in silberhellen Tönen schimmert die weite Lichtung in der Ferne – ein wundervolles Aufleuchten der Natur nach Sturm und Gewitternacht. – Fast bedauerlich ist es, dass in diese grossartig schöne, mit der vollendetsten Meisterschaft durchgeführte Landschaft, diese Figuren, Jäger, die einen Hirsch verfolgen, hineingesetzt sind. Bekanntlich liess Ruisdael die Staffage in seinen Bildern in der Regel von andrer Hand malen; hier rührt sie angeblich von Adriaen van de Velde her. Obschon die Figuren, wenigstens die Gruppe der Jäger, rein äusserlich genommen, der Landschaft nicht unpassend eingefügt sind, so haben sie doch etwas störendes; sie stören die landschaftliche Stimmung; man möchte eigentlich wünschen, dass die Landschaft ganz ohne Staffage geblieben wäre.
Die andern hier abgebildeten Gemälde Ruisdaels sind die von Goethe besprochenen. Das „Kloster“: eine stille weltabgeschiedne Thalgegend, im Hintergrund an die bewaldeten Höhen angelehnt ein altes Klosterhaus mit hohem, halb verfallenem Thurm, in seiner Nähe ländliche Gebäude, dicht eingeschlossen von Bäumen und grünem Gebüsch. Vorn steht „veraltet eine herrliche Buche, entblättert, entästet, mit geborstner Rinde, ihr aber zugesellt eine prächtige Gruppe noch volllebendiger Bäume“; zu ihren Füssen ein plätschernder Bach, an dessen vorderem Ufer der zeichnende Künstler sitzt; am andern Ufer eine Rinderheerde, links Fischer mit Stangen und Netzen. Die eine Seite des Himmels ist von dichtem Gewölk bedeckt, von der andren ziehen sich hell glänzende Lichtstreifen über das Gewässer vorn und durch die Mitte des Thalgrundes. Eine eigentümlich gemischte, halb elegische, halb idyllische Stimmung spricht aus dem Ganzen. „Das Abgestorbene ist“, nach Goethes Worten, „mit dem Lebendigen in die anschaulichste Verbindung gebracht; im Gegenwärtigen das Vergangene darzustellen, ist auf das bewunderungswürdigste erreicht.“
Neben dieser reichen Naturschilderung, in der das Elegische nur gleichsam den Unterton abgiebt, steht mächtig ernst der „Kirchhof“, ein Bild voll düsterer Grösse und tiefster Melancholie. Durch zahlreiche Landschaften des Meisters geht eine tief schwermütige Stimmung, sie war die eigentliche Grundstimmung seines Naturells und seiner Kunst, nirgends aber ist sie ergreifender und grossartiger ausgedrückt als hier. „Das Bild ist“, wie Goethe sagt, „allein der Vergangenheit gewidmet, ohne dem gegenwärtigen Leben irgend ein Recht zu gönnen. Man kennt es unter dem Namen des Kirchhofs. Es ist auch einer. Die Grabmäler sogar deuten in ihrem zerstörten Zustand auf ein Mehr-als-vergangenes, sie sind Grabmäler von sich selbst.“ Im Hintergrund unter nächtig schwarzem Gewitterhimmel ragen die Trümmer eines hohen Bauwerks empor; die verfallenen Sarkophage und Grabsteine sind von wildem Gesträuch umwuchert, mitten durch sie hin, das Zerstörte vollends zerstörend, strömt ein reissender Giessbach; vorn, vor einer Gruppe dunkelbelaubter Eichen, streckt ein verdorrter, abgestorbener Baumstamm seine kahlen Äste gen Himmel. „Der bedeutendste Gedanke des Bildes macht zugleich den grössten malerischen Eindruck. Ein Lichtblick beleuchtet die Gräber, die heranflutende Wassermasse, ihre stürzenden Strahlen und den sich entwickelnden Schaum.“ (Goethe).
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/117&oldid=- (Version vom 27.12.2024)