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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/118

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Ein Motiv für das ergreifende, tragisch düstere Naturbild nahm Ruisdael von dem Judenkirchhof vor Amsterdam. Grabmäler von derselben Form und in ähnlicher Anordnung, wie sie das Gemälde zeigt, sieht man auf einem von A. Blotelingh nach einer Zeichnung Ruisdaels ausgeführten Stich von 1670, der nach der Unterschrift den „Begräbnissplatz der Juden vor Amsterdam“ darstellt. Im wesentlichen ist das Gemälde eine Phantasieschöpfung, eine solche freilich, die das Gepräge vollendetster Naturwahrheit an sich trägt.

Zu einer Reihe von Darstellungen wurde Ruisdael durch Gemälde seines um mehrere Jahre älteren Freundes Allaert van Everdingen angeregt, durch jene packenden Schilderungen aus der nordischen Gebirgswelt, in denen Everdingen der Landschaftsmalerei ein neues Stoffgebiet eröffnete. Die Studien zu solchen Gemälden, die fast immer mächtige Wasserfälle in wilder Gebirgsgegend darstellen, hatte er hauptsächlich auf einer Reise nach Norwegen gemacht. Ruisdael, der diese nordische Natur nicht aus eigener Anschauung kannte, hat unter dem Eindruck solcher Schilderungen, wohl auch mit Benutzung von Studien seines Freundes, eine beträchtliche Zahl von Bildern ähnlicher Art gemalt, so charakteristisch wahr, so lebensvoll, dass sie wie in der unmittelbarsten Berührung mit der Natur entstanden erscheinen. Sie zeugen von einer Kraft der künstlerischen Intuition, von der man sagen kann, dass sie die Natur in sich selbst hatte. Eines dieser Bilder ist der „Wasserfall vor dem Schlossberg“ (s. d. Abb.): in der Ferne auf hochragendem Felsen ein burgähnliches Schloss, am Fusse des Felsen ländliche Wohnungen, von dunkeln Tannen umgeben, im Vordergrund ein breitflutendes Wasser, das über Felsgeröll und niedergebrochene Baumstämme schäumend herabstürzt. – Everdingens Hauptbild in der dresdner Galerie ist der hier wiedergegebene „grosse Wasserfall“, ein mächtiges Stück nordischer Natur. Den grösseren Teil des Gemäldes füllt der gewaltige Bergstrom, der oben von links her ruhig heranfliesst, dann in jähem Absturz wild aufschäumend zwischen zerrissenen Felsmassen nach vorn niederbraust. In seine Wirbel stürzt ein kleineres Wasser aus dem Geklüft zur linken. Die Bewegung des Wassers, das ruhige Fliessen des grossen Stroms im oberen Lauf und der wilde Aufruhr im Niedersturz sind meisterhaft geschildert. Der dunkelbräunliche Ton, auf den die Farbe Everdingens fast immer gestimmt ist – man rechnet ihn zu den „Brunisten“ –, wirkt hier entschieden charakteristisch; er erhöht den Eindruck des nordisch Wilden und Düstern.

Von den zwei übrigen in unserm Werk abgebildeten Landschaften aus der holländischen Schule des 17. Jahrhunderts ist die eine von Adriaen van de Velde, der als Landschafter und in genreartigen Darstellungen fast ebenso bedeutend ist, wie als Thiermaler: die „Eisbelustigung auf dem Stadtgraben“, ein vortreffliches, mit Figuren mannigfaltig belebtes, in Ton und Farbe sehr charakteristisches Winterbild. Die andere ist eine der berühmten Mondscheinlandschaften Aert van der Neers, eine der schönsten und stimmungsvollsten: eine abgelegene, stille Gegend vor der Stadt, rechts hinter hohen Bäumen Giebelhäuser, in deren Fenstern sich das Mondlicht spiegelt, weiter zurück in dunkler Silhouette vom Himmel sich abhebend eine Kirche, rechts die mondbeglänzte Fläche eines breiten Flusses, über den ein einsamer Nachen gleitet.

Dann noch ein Prachtstück aus dem Gebiet der von den Holländern auch neu geschaffenen und sehr reich gepflegten Stilllebenmalerei, ein Hauptwerk des bedeutendsten Meisters, der in der

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Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/118&oldid=- (Version vom 27.12.2024)