zum Ausdruck einer rein poetischen Stimmung, vor allem in Werken, in denen sich der heiter weltliche, genussfreudige Geist der Renaissance im sonnigsten Glanze spiegelt; eine verklärte Sinnenfreude glüht und leuchtet in der Farbenpoesie dieser Bilder; sie sind wie ein volltöniger Festgesang auf die Schönheit der Welt. Neben Schilderungen solcher Art stehen aber in der venezianischen Schule auch bedeutende und grossartige Darstellungen aus dem religiösen Gebiete, in denen die Farbe in ihrer feierlichen Pracht, wie in dem grossen Hymnus der Assunta Tizians, von gleich machtvoller Wirkung ist. Vielfach allerdings, besonders in späterer Zeit, haben die Venezianer biblische Motive in einem vorwiegend oder ausschliesslich weltlichen Sinn aufgefasst und behandelt.
Um den grossen bahnbrechenden Meister der venezianischen Schule des 16. Jahrhundert hat sich die moderne Kunstforschung ein besonderes Verdienst erworben. Die Vorstellungen von Giorgiones künstlerischem Charakter hatten sich im Laufe der Zeit merkwürdig getrübt und verwirrt. Eine erstaunlich grosse Menge von Bildern war auf seinen Namen getauft worden, die mit seiner Kunst entweder nur einen weitläufigen oder auch gar keinen Zusammenhang hatten. Meist waren es Bilder aus der späteren Zeit der venezianischen Malerei, wo gewisse Uebertreibungen des koloristischen Prinzips, eine flüchtige Behandlungsweise, eine vorwiegend dekorative Richtung bereits überhand genommen hatten.
Häufig erblickte man in Giorgione nur einen Virtuosen des Kolorits, der nichts weiter, als einen blos sinnlichen Farbenreiz erstrebt habe. Noch in neuerer Zeit sagte von ihm ein französischer Schriftsteller, Paul Mantz: »à ces brillantes fêtes de la couleur, qu’il se donnait à lui-même, il oubliait d’inviter l’âme.“ Vielfach war Giorgione in der Vorstellung der Welt geradezu zu einer Karikatur seiner selbst geworden. Erst indem man jene chaotische Bildermasse kritisch sichtete, indem man Werke Giorgiones, die bisher unbeachtet geblieben waren, wieder ans Licht zog und ihm andere, die unter falschem Namen gingen, zurückgab, gelangte man dahin, die Grundlinien seines künstlerischen Charakters wiederherzustellen. Die wichtigsten Verdienste um diese Klärung seines Charakterbildes erwarben sich Crowe und Cavalcaselle in ihrer Geschichte der italienischen Malerei[1] und nach ihnen besonders Morelli[2].
Die Zahl der uns erhaltenen echten Gemälde Giorgiones ist sehr gering. Viele seiner Werke sind verschollen, seine Wandmalereien sind zu Grunde gegangen. Aber in den wenigen Bildern, die wir jetzt als Originalwerke des Meisters betrachten dürfen, giebt sich uns sein künstlerischer Charakter in sehr bestimmten Zügen zu erkennen.
Kirchliche Bilder hat Giorgione, wie es scheint, nur in der ersten Zeit seiner künstlerischen Thätigkeit gemalt. Zwei der uns erhaltenen, die berühmte Altartafel in der Kirche des heiligen Liberale in Castelfranco und ein Madonnenbild im madrider Museum, sind von einer Schönheit, die auch
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/38&oldid=- (Version vom 26.12.2024)