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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/37

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ist in der dresdner Galerie mit zwei Bildern vertreten, von denen das eine, das Opfer Abrahams, in unserem Werke reproduziert ist. Es stammt wahrscheinlich aus dem vorletzten Lebensjahr des Meisters, aus dem Jahre 1530. Hinsichtlich der Formengebung gehört es zu seinen vollkommensten Werken. Die Gestalt des Abraham erinnert in ihrer grossartigen Haltung an Michelangelo, dessen Einfluss in den Gemälden aus Andreas späterer Zeit besonders deutlich sichtbar ist; die ausnehmend schön gezeichnete Figur des Isaak hat eine auffällige Verwandtschaft mit dem einen Knaben der Laokoongruppe. Das, worin Andreas Bedeutung vor allem beruht, sein koloristisches Genie, kommt hier allerdings nicht in vollem Maasse zur Geltung; die Farbe ist von trefflicher harmonischer Wirkung, aber sie hat nicht den eigenartigen Reiz, der anderen Werken des Meisters-eine so ungewöhnlich hervorragende Bedeutung giebt. Eine tiefer ergreifende seelische Wirkung, die seinen grossen Kompositionen nicht selten fehlt, wird man auch in dem Opfer Abrahams vermissen; bei aller Schönheit der Form ist die Darstellung von einer gewissen inneren Kälte nicht frei. – Vasari erzählt, Andrea habe das Bild im Auftrag des Giov. Batt. della Palla für König Franz I von Frankreich gemalt, es sei aber nicht abgeliefert worden, nach Andreas Tode habe es Filippo Strozzi erworben. Später gelangte es in die Uffizien zu Florenz, dann in die modeneser Sammlung, von da nach Dresden. Das madrider Museum besitzt eine Wiederholung in kleinerem Maassstab, die von Andrea nach Vasaris Bericht für Paolo Terrarossa gemalt war.

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Länger als alle anderen italienischen Malerschulen hat die venezianische im 16. Jahrhundert in Blüte gestanden. Sie blühte noch in der zweiten Hälfte des Cinquecento, als in den übrigen der Renaissancegeist schon so gut wie gänzlich erloschen war. Diese ganze herrliche Glanzepoche der venezianischen Malerei ist in der dresdner Galerie aufs reichste vertreten; keine andere Galerie der Welt bietet von ihr ein so umfassendes und glänzend reiches Bild, wie die dresdner in ihren Werken Giorgiones, Palma Vecchios, Tizians und Paolo Veroneses.

Giorgione – Giorgio Barbarelli (geboren um 1475, gestorben 1511) – war der eigentliche Begründer der venezianischen Schule des 16. Jahrhunderts. Schon Vasari sagt von ihm ausdrücklich, dass er nicht nur höher, als Giovanni und Gentile Bellini, sondern den Malern gleichgestellt wurde, die in Toskana die Schöpfer des neuen Stiles waren, der „maniera moderna“, wie Vasari den grossen und freien Stil des Cinquecento im Gegensatz zu der noch befangenen Kunstweise des 15. Jahrhunderts nannte. Mit Giorgione, der unter den Venezianern zuerst eine vollendet freie Formenschönheit erreichte, begann zugleich jene höchste und glänzendste Entwicklung des koloristischen Elements, auf der der Hauptruhm der venezianischen Schule des 16. Jahrhunderts beruht.

Niemals zuvor war das Geheimniss der Farbe so tief ergründet worden; in keiner andern Malerschule erschien die Farbe zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel von so mächtiger Wirkung gesteigert. Der „rein malerische Gedanke“, aus dem Element der Farbe erzeugt, wie der „musikalische Gedanke“ aus dem Element der Töne, gelangte hier zu einer bisher ungeahnten Herrschaft. Die venezianische Phantasie war recht eigentlich ein Denken und Dichten in Farbe; die Farbe selbst wurde

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/37&oldid=- (Version vom 26.12.2024)