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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/36

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eine Madonna, die ihren in einem Becken stehenden Knaben wäscht, während der kleine Johannes Wasser aus einer Kanne giesst. Diese lebensgrossen Figuren sind wunderschön. Im Hintergrund sieht man in kleinen Figuren vornehme Damen zum Besuch hereinkommen.“ Dass wir das Bild, von dem Vasari hier spricht, in dem dresdner vor uns haben, ist wohl anzunehmen, da die Schilderung der Hauptgruppe vollkommen zutrifft; die Angabe hinsichtlich der Nebenfiguren ist dann ein Irrtum, der bei Vasari nichts allzu auffälliges hat.

Ein Maler von ungewöhnlicher Bedeutung, der in Rom zu Raffaels Zeit ausserhalb seiner Schule auftrat, war der Venezianer Sebastiano del Piombo, ein Schüler Giorgiones. Er war wenig später als Raffael nach Rom gekommen; eine Zeit lang stand er zu ihm in naher Beziehung, dann schloss er sich Michelangelo an, mit dem er nach dessen Weggang von Rom (1515) einen dauernden Briefwechsel unterhielt. Unbefriedigter Ehrgeiz und Künstlereifersucht machten ihn zuletzt zu Raffaels leidenschaftlichstem Widersacher. Michelangelos grosses Vorbild wirkte auf ihn überwältigend. Aus dem glänzenden Koloristen, als den er sich in dem prachtvollen Altarbild in S. Giovanni Crisostomo in Venedig und noch in seinen ersten römischen Arbeiten gezeigt hatte, aus einem Rivalen Giorgiones wurde er zum begeisterten Nachahmer Michelangelos; geraume Zeit ging er fast gänzlich auf in dem Streben nach michelangelesker Formengrösse und Formenstrenge; doch blieben ihm bei dem heftigen Stilwechsel Vorzüge venezianischer Herkunft in der koloristischen Behandlung noch immer eigen. In seiner späteren Zeit, nach einem Aufenthalt in Venedig, trat die venezianische Art, sein starkes Farbengefühl in einer Reihe bedeutender Bildnisse wieder in überraschender Schönheit hervor. Die dresdner Galerie besitzt ein Gemälde, das als Originalwerk Sebastianos erworben wurde, einen kreuztragenden Christus (Abb. im Text). Jetzt ist die Ansicht vorherrschend, dass das Bild eine „Wiederholung“ ist und zwar eine Wiederholung nicht von Sebastianos eigner Hand; als das Original gilt ein Gemälde im madrider Museum.[1] In der Grossartigkeit der Formenzeichnung erkennt man die mächtige Einwirkung Michelangelos; die malerische Behandlung hat in dem dresdner Bild eine gewisse Härte, die am meisten gegen die Annahme spricht, dass es von Sebastianos eigener Hand herrührt. – Gegenstände aus der Passionsgeschichte Christi wurden von den italienischen Künstlern der Früh- und Hochrenaissance nur selten behandelt. Dass in der folgenden Zeit Passions-Schilderungen häufiger wurden, hing offenbar mit dem Charakter der neuen kirchlichen Richtung zusammen, die in Italien seit dem Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts stetig anwuchs und zuletzt zur „Restaurierung“ des Katholizismus führte. Ein andres bedeutendes Gemälde Sebastianos stellt gleichfalls eine Passionsszene dar: die Geisselung Christi in S. Pietro in Montorio in Rom.

Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts hatte Florenz die Führung, die es bisher in der grossen Renaissance-Bewegung gehabt hatte, an Rom abgetreten. Rom war durch Michelangelo, Raffael und Bramante zum eigentlichen Mittelpunkt der Hochrenaissance geworden; doch behauptete Florenz, namentlich in der Malerei, auch in den ersten Jahrzehnten des Cinquecento noch immer eine hervorragende Stellung. Die beiden bedeutendsten Maler, die Florenz in dieser Zeit besass, waren Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto, zwei Künstler, die unter den zahlreichen glänzenden Talenten dieser grossen Epoche zu denen gehörten, die den Meistern höchsten Ranges am nächsten standen. Andrea del Sarto


  1. S. O. Eisenmann, Kunstchronik, XVI, S. 653; Wörmann, Kat. der dresdner Gal., 2. Aufl. S. 64. – Morelli hält das dresdner Bild für eine niederländische Kopie (2. Aufl. S. 331); Crowe und Cavalcaselle erklären es dagegen für eine eigenhändige Wiederholung Sebastianos (Geschichte der ital. Malerei, VI, 407).
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/36&oldid=- (Version vom 26.12.2024)