Zum Inhalt springen

Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/35

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Behandlung des Lichts und in der Stimmung der Farbe. Auch rein koloristisch ist das Bild der Sistina in der meisterhaft behandelten Glorie mit den zarten, in den Duft des Lichts getauchten Engelsköpfen und in dem Ganzen der von Licht getränkten Erscheinung, in der durchsichtigen leuchtenden Klarheit aller Farbentöne eines der herrlichsten Werke der Malerei. Noch besonders bewunderungswürdig ist die Art der Ausführung. Das Bild ist mit einer genialen Sicherheit und Leichtigkeit hingeschrieben, die die Vorstellung erweckt, als sei Conception und Ausführung eins gewesen. Was Mengs einmal von den Werken eines anderen grossen Malers sagte, möchte man auch von der Sistina sagen: sie scheint weniger mit der Hand, als mit dem blossen Willen gemalt. Eine Skizze zur Sistina ist bis jetzt nicht bekannt. Auch in der Art der Ausführung erscheint das Bild recht wie ein Werk der Inspiration; wie auf einen Wurf scheint es aus der begeisterten Hand des Meisters hervorgegangen zu sein.

* *
*

Kein andrer Meister der grossen italienischen Blütezeit hat in so umfassender Weise schulebildend gewirkt, wie Raffael; eine erstaunlich grosse Zahl trefflicher und ausgezeichneter Talente hat er in seine Bahnen gezogen. Aber merkwürdig rasch zeigten sich gerade in seiner Schule die Symptome des Verfalls, der auf jene Glanzepoche folgte. Die Veräusserlichung des grossen raffaelischen Stils trat fast plötzlich ein; keine andre Schule verfiel so rasch dem Manierismus.

Der hervorragendste unter Raffaels Schülern war Giulio Romano. In seinen Werken hat sich ein lebendiger Hauch vom Wesen des Meisters am längsten erhalten. An manieristischen Zügen fehlt es auch bei ihm nicht; in seiner letzten Periode, bei den umfänglichen dekorativen Malereien in Mantua hat er sich im Streben nach grossen Effekten schon mehrfach in eine förmliche Wildheit verstiegen. Aber ganz unmanieristisch, in der That raffaelisch schön sind z. B. noch seine farbigen Zeichnungen in der Villa Albani in Rom, die eben dieser späteren Zeit angehören, die Entwürfe für zwei der berühmten Wandbilder im „Psyche-Saal“ des mantuaner Palazzo del Te; die Gemälde selbst, die zum Teil von Schülerhänden ausgeführt wurden, stehen gegen die Schönheit jener Entwürfe beträchtlich zurück. – In der dresdner Galerie befindet sich eines der besten Oelbilder des Meisters, die Madonna della Catina (Abb. im Text): der nackte Christusknabe, in einem bronzenen Waschbecken stehend, von Maria gehalten, während der kleine Johannes lächelnd Wasser über ihn ausgiesst, hinter ihm Joseph, auf der ändern Seite Elisabeth mit dem Trockentuch – ein Genrebild im grossen Stil der raffaelschen Schule. Passavant[1] rechnete das Gemälde zu den Bildern aus Giulios früherer Epoche, zu denen, die er bald nach dem Tode Raffaels malte, in denen er sich, wie in den schönen Altartafeln in S. Maria dell’ Anima in Rom und in S. Stefano in Genua, dem Vorbild des Meisters besonders nahe hielt. In der That ist unser Bild in der Grösse und Kraft der Formengebung ein höchst lebendiger Nachklang von Raffaels römischem Stil. Gleichwohl ist wahrscheinlich, dass es nicht in jener früheren Zeit, sondern erst später entstand, als Giulio von dem Herzog Federigo Gonzaga nach Mantua war berufen worden. An einer von Passavant nicht berücksichtigten Stelle bemerkt Vasari: „Für den Herzog Federigo malte Giulio


  1. Passavant, Raffael, I, 379.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/35&oldid=- (Version vom 26.12.2024)