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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/34

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Kind nicht wesentlich anders aufgefasst, als in jenen Bildern der florentinischen und der ersten römischen Zeit Raffaels, in denen sie in ganz irdischer Umgebung dargestellt ist. In all dem Zauber holdseliger Anmut, der ihr in jenen Bildern eigen ist, in mütterlich zärtlicher Vereinigung mit dem Christusknaben, der in seiner lebhaften Bewegtheit noch ganz kindliches Wesen hat – so erscheint sie hier in die Glorie versetzt.

Anderes ist in der Sistina verherrlicht; in dem Ausdruck erhabener Grösse überglänzt sie die Madonna di Foligno ebenso gewaltig, wie alle die übrigen Andachtsbilder. Die Glorie, das eigentliche Symbol einer erhabenen, die Sinnenwelt überragenden und beherrschenden Geistesmacht, ist zu grandioser Wirkung gesteigert. Das goldige Rund, vor dem die Madonna di Foligno auf Wolken thront, ist nur ein Heiligen-Nimbus in vergrösserter Form. In dem Bild der Sistina hat der Himmel sich geöffnet und umstrahlt die Madonna mit dem Kind in magischem Glanz. Ideale, wie sie eine tief erregte religiöse Phantasie in der ersten Dämmerung des christlichen Weltalters mit den Mitteln einer noch unentwickelten Kunst auszudrücken strebte, wie sie später in den feierlichen „Maëstas“ besonders bedeutsam hervortraten, sie haben hier in den Gestalten der Madonna und des Kindes eine herrlich neue, genial vollendete Verkörperung gefunden. Wie wunderbar sind diese Gestalten, von welcher Grösse und Tiefe des Ausdrucks! Die Madonna, die das göttliche Kind der Welt entgegen trägt, in erhabener heiliger Schönheit das Urbild reinster Jungfräulichkeit; mit grossen weitgeöffneten Augen schaut sie vor sich hin, ganz erfüllt von dem feierlichen Gefühl ihrer hohen Sendung, das jede andere Empfindung in ihr zurückdrängt; ihr Blick ist auf nichts bestimmtes ausser ihr gerichtet, er zeigt, wie Carl Justi sagt, „dass der Gedanke, der ihr vorschwebt, den Verheissenen auf den Armen zu tragen, für keine andre Idee, für keine Wahrnehmung, für keine Bewegung des Innern Raum lässt“. [1] In ihren Armen das Kind mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Geistesgewalt in den leuchtenden, gross und fest in die Welt hinausblickenden Augen, die Kindesnatur wunderbar gesteigert zum Ausdruck einer geistigen Macht, die die Welt zu bezwingen und zu erlösen berufen ist; nichts im ganzen Gebiete der christlichen Kunst ist dieser Kindesgestalt vergleichbar, nichts dem göttlich gewaltigen Blick dieses Kindes, der die Seele mit heiligem Schauer erfüllt. Der Madonna zu Füssen die herrlichen Gestalten der beiden Heiligen: „ihr beugt ein Mann mit liebevollem Grauen, ein Weib die Knie’, in Demut still entzückt“ [2]; der greise Sixtus, in inbrünstiger Verehrung das verklärte Antlitz zu der Himmelserscheinung emporwendend, indem er mit der Rechten mit bittender Geberde auf die heilsbedürftige Welt hindeutet; die heilige Barbara, schön und von holdester Anmut, vor der Uebermacht der Erscheinung demütig den Blick senkend. Und zuletzt, wie wundervoll ist der Ausdruck der beiden Engelsknaben, die unten auf die Brüstung gelehnt sind; sie schauen ruhig, mit ernsten naiven Kinderaugen zu den himmlischen Gestalten hinan, die nur für sie kein Gegenstand des Staunens sind.

Auch in rein malerischer Hinsicht gehört die Sistina zu Raffaels bewunderungswürdigsten Schöpfungen. Die Farbe war für ihn nicht ein künstlerisches Element von der gleichen Bedeutung, wie für Tizian, Coreggio oder Murillo. Wohl aber zeigt der Verlauf seiner unvergleichlich reichen Entwicklung, wie er ganz innerhalb der Sphäre seiner künstlerischen Eigenart die koloristischen Mittel zu immer höheren Wirkungen steigerte. Die Sistina und die Transfiguration sind in Raffaels Weise ein Höchstes in der


  1. Carl Justi, die Verklärung Christi, S. 22.
  2. Goethe in dem Gedicht: „Einer hohen Reisenden“.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/34&oldid=- (Version vom 26.12.2024)