Die stilistischen Gründe, die für die Urheberschaft Giorgiones sprachen, konnten noch durch ein Argument anderer Art unterstützt werden. Zu den Füssen der Venus befand sich ursprünglich die Figur eines Kupido; sie wurde, weil sie stark beschädigt war, bei einer Restaurierung des Bildes im Jahre 1843 gänzlich weggenommen. Dass Giorgione eine derartige Darstellung gemalt hat, wissen wir aus älteren schriftlichen Nachrichten, zunächst aus einem Reisebericht des 16. Jahrhunderts (Notizie etc., ed. Jacopo Morelli, Bassano 1800); der anonyme Verfasser dieses Berichtes erzählt, dass er im Jahre 1525 im Hause des Jeronimo Marcello in Venedig ein Gemälde Giorgiones sah, das „eine nackte, in einer
Landschaft schlafende Venus mit dem Kupido“ darstellte; er setzt hinzu, den Kupido und die Landschaft habe Tizian vollendet. Dasselbe Bild wird von Carlo Ridolfi in den Maraviglie dell’ arte noch im Jahre 1646 als im Hause des Marcello befindlich erwähnt; von dem Kupido wird hier ausdrücklich gesagt, dass er zu Füssen der Venus sass; die Bemerkung, dass er von Tizian vollendet wurde, findet sich auch hier. Die Identität dieses Bildes mit dem dresdner ist sonach in hohem Grade wahrscheinlich. Aus dem Umstände, dass der Anonymus sowohl, wie Ridolfi bemerken, Tizian habe das Bild fertig gemalt, erklärt sich dann auch, dass es unter Tizians Namen nach Dresden gelangte. Vermutlich wurde es von Tizian nach Giorgiones Tode vollendet.
Neben Giorgione hat zunächst Palma Vecchio als Mitschöpfer des venezianischen Kunstideals des 16. Jahrhunderts zu gelten. Er war ein etwas jüngerer Zeitgenosse Giorgiones und von dessen bahnbrechendem
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/40&oldid=- (Version vom 26.12.2024)