In der Kompositionsweise, in der feierlichen Symmetrie der Anordnung schliesst es sich noch ganz den Andachtsgemälden jener früheren Epoche an; in der Formenzeichnung hat es noch etwas von der Strenge des älteren Stils. Insbesondere lässt es sehr deutlich erkennen, wie Correggio mit der ferraresisch-bolognesischen Schule zusammenhing: die Farbengebung und der Aufbau des Thrones erinnern an Lorenzo Costa, die Gestalten des heil. Franziskus und der heil. Katharina, die beiden eindrucksvollsten Figuren der Komposition, erinnern an Francesco Francia; in ihnen ist eine ähnliche elegische Andachtsstimmung, wie sie die rührendsten Gestalten Francias beseelt, mit ergreifender Innigkeit ausgesprochen. – Morelli, der an diesem Gemälde die Herkunft Correggios aus der ferraresisch-bolognesischen Schule zuerst mit Bestimmtheit nachgewiesen hat, erwähnt als Zeugnisse für diese Herkunft noch eine Reihe anderer Bilder, die er für frühere Jugendarbeiten des Meisters erklärt[1].
Die religiösen Gemälde Correggios, die nach der Madonna mit dem heil. Franziskus entstanden, haben einen wesentlich anderen Charakter. Sie haben nichts mehr von dem feierlichen Kultusstil der älteren Zeit, nichts mehr von der Gefühlsweise Francias, eine völlig veränderte Phantasiestimmung giebt sich in ihnen kund, sie zeigen eine völlig neue, in Correggios eigenster Natur begründete Anschauungsweise. Man hat Correggio den Antipoden Michelangelos genannt. Er und der gewaltige Florentiner sind in der That nach ihrem ganzen persönlichen Wesen die entgegengesetztesten Erscheinungen der Renaissance. Zu der ernsten Grösse und Mächtigkeit der Schöpfungen Michelangelos und ihrer oft tief schwermütigen Stimmung bildet die heitere Grazie Correggios den denkbar grössten Gegensatz. In jenen religiösen Bildern schildert er das Ideal einer seligen anmutstrahlenden Welt, einer Welt voll lächelnder Freude und jubelnden Entzückens, ein Ideal, von dem man behaupten kann, dass es sich mit dem seiner mythologischen Bilder in gewissen Zügen berührt. Seinen jugendlichen Heiligen und seinen Engelsgestalten ist ein zarter sinnlicher Liebreiz eigen, mit dem sich der Ausdruck reinster Naivetät und kindlicher Wonne oftmals in bezaubernder Weise vereinigt. In der Sprache des hocherregten Affekts ist er der hinreissendsten Wirkung fähig; doch fehlt es unter seinen Gestalten auch nicht an solchen, deren graziös ekstatische Bewegung etwas äusserliches hat; bisweilen, namentlich in manchen religiösen Bildern aus späterer Zeit, geräth er in eine empfindsame Ausdrucksweise, die nicht unmittelbar überzeugend wirkt, die ziemlich nahe am Affektierten hingeht.
In der malerischen Versinnlichung seines Ideals sind vor allem zwei Elemente, das Licht und das Helldunkel, zu wesentlich neuer Wirkung gebracht. Der Zauber des Lichts und seine Wirkung aus dem Dunkel heraus und in das Dunkel hinein beherrscht bei Correggio die Wirkung der Farbe. Auch da, wo er die Lokaltöne in reicher Mannigfaltigkeit, in einer Skala von weitestem Umfang und in intensivem Glanze entfaltet, auch da sind sie nicht ebenso, wie bei den Venezianern, die Hauptträger der malerischen Wirkung; sie ordnen sich immer bis zu einem gewissen Grade den Wirkungen des Lichts und des Helldunkels unter. Das venezianische Kolorit hat in dem Vorwalten, in der Fülle und Sattheit der Lokaltöne eine stärkere reale Potenz; bei Correggio herrscht das ideale Element des Lichts; die feinsten Geheimnisse des Helldunkels haben sich ihm zuerst völlig erschlossen.
Von den drei grossen Altarbildern des Meisters, die die dresdner Galerie ausser dem schon erwähnten besitzt, ist das bedeutendste die Madonna mit dem heiligen Sebastian. Correggio malte das
- ↑ Morelli, a. a. O., S. 194 ff. – Morelli, kunstkritische Studien. Die Galerien Borghese und Doria Panfili in Rom. S. 290 ff.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/50&oldid=- (Version vom 27.12.2024)