Seite:George Sand Indiana.djvu/121

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„Bedenken Sie doch, daß Indiana Sie hört,“ antwortete Ralph mit leiser Stimme. „Sie ist in einem Zustande, wo sie keine Aufregung ertragen kann. Mäßigen Sie sich.“

„Ich habe wohl keine ertragen seit diesem Morgen?“ brüllte der Oberst. „Sie ist die Ursache, daß ich mich mit der alten Närrin Carvajal, die mir die Schuld an diesem tollen Streiche zuschieben wollte, gründlich überworfen habe. O, ich bin ganz außer Atem!“

Während Delmare mit seiner rauhen, harten Stimme so sprach, hatte er sich auf einen Stuhl im Vorzimmer gesetzt. Er schilderte unter wilden Flüchen seine ausgestandene Angst, tat tausend Fragen und hörte glücklicherweise auf keine Antwort; denn der arme Ralph konnte nicht lügen, und was er zu erzählen hatte, würde den Zorn des Obersten keineswegs haben besänftigen können.

Als Frau Delmare die Verwünschungen ihres Gatten hörte, fühlte sie sich stärker, als sie sich zugetraut hatte. Dieser Zorn war ihr lieber, als eine edelmütige Nachsicht, die sie nicht verdient hätte, und versöhnte sie mit sich selbst. Sie trocknete die letzte Spur ihrer Tränen und sammelte alle ihre geistige Kraft. Als ihr Gatte mit einer gebieterischen Miene auf sie zutrat, veränderte er plötzlich den Ausdruck seines Gesichtes und den Ton seiner Stimme, so sehr schüchterte ihn die Überlegenheit ihres Charakters ein. Er versuchte, würdig und kalt zu sein wie sie, konnte aber damit nicht zurechtkommen.

„Werden Sie die Gefälligkeit haben, Madame,“ fragte er, „mir zu sagen, wo Sie diesen Morgen und vielleicht sogar die ganze Nacht gewesen sind?“

Aus diesem „Vielleicht“ schöpfte Indiana neuen Mut, denn sie schloß daraus, daß ihre Abwesenheit erst spät bemerkt worden war.

„Nein, mein Herr,“ antwortete sie, „es ist nicht meine Absicht, es Ihnen zu sagen.“

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/121&oldid=- (Version vom 1.8.2018)