Seite:George Sand Indiana.djvu/131

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und seien Sie glücklich, das ist der letzte Wunsch, der in meinem gebrochenen Herzen noch Raum hat. Sprechen Sie mir aber nie von Gott. Mein Gott ist ein anderer als der Ihrige, oder vielmehr lassen Sie mich wiederholen, was Ihnen Ralph eines Tages in Lagny sagte: ‚Sie glauben an gar nichts. Ihre Erziehung hat Sie ohne Prüfung den Glauben Ihrer Väter annehmen lassen; aber die Überzeugung vom Dasein Gottes ist Ihnen nicht ins Herz gedrungen; Sie haben vielleicht nie gebetet.‘

„Leben Sie wohl, Raymon, mögen Sie glücklich ohne mich leben, ich verzeihe Ihnen, daß Sie mich unglücklich gemacht haben. Sprechen Sie zuweilen von mir mit Ihrer Mutter, der besten Frau, die ich kennen gelernt habe. Seien Sie überzeugt, daß weder Unmut noch Rachsucht gegen Sie in meinem Herzen lebt; mein Schmerz ist der Liebe würdig, die ich für Sie empfand.

Indiana.“     

Die unglückliche Indiana! Dieser tiefe und ruhige Schmerz war nur das Gefühl ihrer eigenen Würde, während sie an Raymon schrieb; aber in Wahrheit überließ sie sich der ganzen Heftigkeit ihrer Verzweiflung. Vielleicht verlor sie das Vertrauen auf Raymons Liebe nie ganz, ungeachtet der schmerzlichen Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht hatte. Wenn sie an die nackte Wahrheit hätte glauben wollen, so würde sie das Leben nicht mehr ertragen haben.

Die Frau ist schwach von Natur; um der großen Überlegenheit, die ihre zarte Natur ihr über die Männer gibt, ein Gegengewicht zu verleihen, scheint der Himmel absichtlich eine blinde Eitelkeit und törichte Leichtgläubigkeit in ihr Herz gelegt zu haben. Um sich dieses zarten, beweglichen und scharf beobachtenden Wesens zu bemächtigen, bedarf es vielleicht nur der Kunst, sich der Schmeichelei geschickt zu bedienen und die Eigenliebe zu reizen. Wehe dem Manne, der sich von Offenheit und Freimut Erfolge in der Liebe verspricht! Er wird Ralphs Schicksal teilen, wer sich über die grenzenlose Schwäche und Verblendung wundern wollte,

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)