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Vierundzwanzigstes Kapitel.

In der inneren Politik Frankreichs bereiteten sich wichtige Veränderungen vor, welche einer Revolution entgegensteuerten. Die herrschende Gesellschaft hatte sich überlebt, die Partei, der Herr von Ramière angehörte und für die er eine bedeutende publizistische Tätigkeit entfaltet hatte, verlor Macht und Einfluß.

Wenn auch nicht erwünscht, aber unter den obwaltenden Verhältnissen zu gelegener Zeit stellte sich bei Raymon ein heftiges rheumatisches Leiden ein, welches ihn nötigte, sich aus dem ebenso hitzigen als unerquicklichen Streite der Meinungen mit seiner Mutter auf das Land zurückzuziehen.

In dieser Einsamkeit litt er außerordentlich. Die stechenden Schmerzen der Krankheit, die Langweile und das Fieber gaben seiner Ideenwelt unmerklich eine andere Richtung.

Seine Mutter pflegte ihn aufs sorgfältigste, erkrankte aber selbst höchst bedenklich. Darüber vergaß er seine eigenen Leiden. Er wachte an ihrem Lager, doch reichten seine Kräfte nicht aus und er erlag physisch der Last der Anstrengung. Bezahlte Leute waren jetzt seine Pfleger, nur selten besuchte ihn ein Freund. Unwillkürlich mußte er an Indiana denken, die ihm jetzt eine willkommene Hilfe gewesen wäre. Er erinnerte sich an die hingebende Pflege, die sie vor seinen Augen ihrem alten, mürrischen Gatten gewidmet hatte, und vergegenwärtigte sich die wohltuende Anmut, mit der sie ihren Geliebten würde zu umgeben wissen.

„Wenn ich ihr Opfer angenommen hätte,“ sagte er sich, „so wäre sie entehrt; aber was würde es mich kümmern in meiner jetzigen Lage? Verlassen von einer frivolen und selbstsüchtigen Welt, stünde ich nicht allein; die, welche alle mit Verachtung zurückgestoßen hätten, wäre liebevoll um mich, sie würde meine Leiden beweinen und sie zu mildern wissen. Warum habe ich

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/137&oldid=- (Version vom 1.8.2018)