wenig achtest, du verdienst, daß ich dich von mir jage. Tritt von der Tür weg! …“
Halb tot vor Erstaunen und Verzweiflung hatte Noun die Augen auf Raymon gerichtet, als erwarte sie von ihm Aufschluß über diesen ihr unerklärlichen Vorgang. Plötzlich ergriff sie unter heftigem Zittern Indianas Arm.
„Was sagen Sie?“ rief sie wutbebend, „dieser Mensch liebt Sie?“
„O, du hast es recht gut gewußt,“ sagte Frau Delmare, das Mädchen verächtlich zurückstoßend. „Ach Noun, das ist eine Schändlichkeit, deren ich dich niemals für fähig gehalten hätte. Du hast meine Ehre verkaufen wollen, die Ehre deiner besten Freundin, welche in dich so viel Vertrauen setzte.“
Frau Delmare weinte, aber eben so sehr vor Zorn als vor Schmerz. Niemals hatte Raymon sie so schön gesehen, aber er wagte kaum, sie anzublicken, denn ihr beleidigter weiblicher Stolz zwang ihn, die Augen niederzuschlagen. Wäre er mit ihr allein gewesen, so hätte er sie vielleicht zu besänftigen vermocht.
Ein Klopfen an die Tür machte alle drei erbeben. Noun eilte sofort zur Tür, um den Eintritt in das Zimmer zu wehren; aber Frau Delmare stieß sie entschlossen zurück, winkte Raymon gebieterisch, sich in die Ecke des Gemaches zurückzuziehen, hüllte sich mit jener Kaltblütigkeit, welche sie sich in kritischen Momenten so bewunderungswürdig zu bewahren wußte, in einen Schal, öffnete selbst die Tür und fragte den Diener, der geklopft hatte, was er ihr zu sagen habe.
„Sir Ralph Brown kommt soeben an,“ lautete die Antwort, „und fragt, ob die gnädige Frau ihn empfangen will.“
„Sage Herrn Ralph, daß mich sein Besuch sehr erfreut und ich sogleich zu ihm kommen werde. Laß Feuer in dem Salon machen und das Abendessen bereiten. Noch eins! Bring mir den Schlüssel zum kleinen Park.“
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)