Dreizehntes Kapitel.
Als die Spürhunde losgelassen waren, belebten sich Indianas Augen und Wangen, ihre Brust hob sich unter heftigen Atemzügen und plötzlich war sie von Raymons Seite verschwunden. Raymon wußte nicht, daß die Jagd die einzige Leidenschaft war, welche Ralph und Indiana miteinander teilten. Er ahnte ebensowenig, daß in diesem gebrechlichen und zarten Weibe ein mehr als männlicher Mut wohnte, jene phantastische Unerschrockenheit, welche zuweilen, gleich einem Nervenkrampfe, in dem schwächsten Wesen mächtig erwacht.
Mit Entsetzen sah Raymon sie dahinfliegen, kühn in das Dickicht eindringen, ohne Zaudern über Gräben setzen, ohne Furcht, ihre schwachen Glieder zu brechen, sondern nur darauf bedacht, als erste auf die Spur des Ebers zu gelangen. Raymon begann sich vor der Kühnheit und Hartnäckigkeit zu fürchten, die ein so unerschrockener Geist in der Liebe ahnen ließ.
„Wenn sich ihr Wille ebenso ungestüm an mich kettet, wie sie der Spur des Ebers folgt,“ dachte er, „wenn die Gesellschaft für sie keine Schranken, die Gesetze keine Kraft haben, dann unterliege ich meinem Geschick und opfere meine Zukunft auf.“
Rufe des Entsetzens und der Angst, unter denen sich auch die Stimme Indianas unterscheiden ließ, weckten Raymon aus seinem Nachdenken. Erschrocken gab er seinem Pferde die Sporen und befand sich bald bei Sir Ralph, der ihn fragte, ob er die Hilferufe gehört hätte.
In demselben Augenblick stürzten ihnen mehrere Jägerburschen entgegen und aus ihren verworrenen Durcheinanderreden schien hervorzugehen, daß der Eber sich gegen Frau Delmare gewendet und sie zu Boden geworfen hätte. Andere kamen hinzu und riefen Sir Ralph zu Hilfe. „Aller Beistand ist vergebens,“ sagte
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/80&oldid=- (Version vom 1.8.2018)