Seite:George Sand Indiana.djvu/82

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sie verließ ihren Platz am Krankenbett nicht und ertrug ohne Klagen seine Launen und soldatischen Zornesausbrüche. Und dabei erblühte sie in frischer Gesundheit und in ihrem Herzen zog das Glück ein. Raymon liebte sie wirklich. Er kam alle Tage, ertrug die Schwächen ihres Mannes, die Kälte ihres Vetters, den Zwang dieser Zusammenkünfte. Ein Blick von ihm goß für einen ganzen Tag Freude in Indianas Herz. Sie dachte nicht mehr daran, ihr Leben zu beklagen.

Unmerklich faßte der Oberst Freundschaft für Raymon. Er schrieb diese häufigen Besuche auf seine eigene Rechnung, indem er sie als Beweise der Teilnahme an seiner Gesundheit betrachtete. Auch Frau von Ramière kam zuweilen und Indiana schloß sich ihr mit ganzem Herzen an.

Bei diesem fortdauernden engen Beisammensein sahen sich Raymon und Ralph zu einer gewissen nahezu vertraulichen Annäherung gezwungen, aber lieben konnten sie sich nicht. Ihre Ansichten wichen in allem wesentlichen voneinander ab, sie hatten nichts Gemeinsames, worin ihre Gefühle übereinstimmten, und wenn sie beide Frau Delmare liebten, so geschah dies auf so verschiedene Weise, daß dieses Gefühl sie mehr trennte, als einander näher brachte. Indiana überließ sich mit dem ganzen Vertrauen ihrer Jugend der Hoffnung auf eine heitere Zukunft. Es war ihr erstes Glück und ihre glühende Phantasie, ihr weiches Herz wußte es mit allem zu schmücken, was ihm noch fehlte. Raymon log nicht, als er sagte, sie sei die einzige Liebe seines Lebens; er hatte nie, weder so rein noch so ausdauernd geliebt. Bei Indiana vergaß er alles, er gefiel sich in diesem traulichen Familienzirkel, in diesen freundlichen Beziehungen, die sie schuf. Er bewunderte die Geduld und die Kraft dieser Frau; er staunte über die Gegensätze ihres Geistes und ihres Charakters. Er staunte besonders, daß Indiana, nachdem sie jenen so ernsten und feierlichen Bund mit ihm geschlossen, seine ganze Hingabe, sein

Empfohlene Zitierweise:
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/82&oldid=- (Version vom 1.8.2018)