Seite:Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.pdf/115

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wie eines schönen Traums, der uns erquickte,
Wie einer Sonne, die längst unterging,
Gedenken wir mit Wonne deiner Zeiten,
An denen schon der Ahnen Herz gern hing.

Ein schwacher Greis, der schwer gebeugt vom Alter,
Steh wieder ich, o Königin, vor dir
Und fleh’ dich an um Segen für Georgien,
Erbitt bei Gott ihm Gnade für und für.

O segne es, damit sich seine Söhne
Ermannen und von Wissen aufgeklärt
Sich wieder Macht und edlen Ruhm erwerben
Und darnach streben, was des Strebens wert.

Ja, mag sich wieder unser Geist beleben.
Mag Rustawelis Sprache neu gedeihn.
Und unsre Heimatsliebe Früchte tragen.
Uns neu bestrahlen hehren Ruhmes Schein.

Doch ach, o Königin, die du gen Himmel,
Die Blicke richtest, du erkennst wohl kaum
In mir Verlassenen einen Sohn Georgiens
Und unser Elend ist dir wie ein Traum!

Soll denn für alle Zeiten das schon welken,
Was einmal seinen Blütenglanz verlor,
Soll das, was fiel, unaufgerichtet bleiben
Und nie erlangen seinen frühern Flor?

O Welt der Unbill und der ew’gen Lüge,
Du in den Trug versunknes Jammerthal,
Kein wahrer Glanz kann je in dir bestehen
Und alles Edle kommt in dir zum Fall.

Blieb nichts mehr übrig von Georgiens Grösse
Als die Ruinen, die ich heute seh,
Blieb nichts vom Ruhm, der einst durch Asien strahlte,
Blieb keine Thatenfrucht? O weh, o weh!

Kraft und ein mitunter fast ungestümes Gefühl zeigt Orbeliani in seinen Liebesliedern:

Schänk keinen Wein mehr ein, denn längst schon trunken.
Bin ich von hoffnungsloser Lieb’ zu dir.

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/115&oldid=- (Version vom 1.8.2018)