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Halt ein, denn leicht verrät mich meine Zunge
Und spricht, was Keinem kund ist ausser mir.
O, leicht verrät sie, was ich heimlich wahre.
Die heisse Liebe und der Sehnsucht Schmerz,
Den bangen Kummer und die stillen Thränen;
Schänk keinen Wein mehr ein, mich quält dein Scherz!

Kaum reicht mir die Vernunft, das Herz zu zähmen
Und doch willst du sie schwächen noch durch Wein,
Ach, glaube mir, dass deine süssen Blicke
Mich der Vernunft berauben schon allein.
Und lächelnd du mir noch den Becher füllst.
Halt ein, mit Wein du meinen Durst nicht stillst!

O quäl mich nicht mit deinem Scherz! Die Rose
Versprichst du mir, wenn ich den Becher leer!
Viel lieber küsst’ ich deine Rosenwangen –
Und dann, reich mir den Todesbecher her!
Schänk keinen Wein mehr ein, mein Kopf ist wirr
Von heisser, hoffnungsloser Lieb’ zu dir.

Schon oft verglich ich, dir ins Antlitz schauend
Der Mandelblüte deiner Wangen Rot.
Fast bebt mein Mund sie einmal zu berühren;
O hör mich an, denn Wahnsinn mich bedroht.
Wie Gift tobt durch die Adern mir das Blut,
Schänk keinen Wein mehr ein, ich sterb vor Glut!

Der Trennungsabend.

Schon senkt die Sonne sich zum Untergange
Und zärtlich spielt ihr letzter Abendschein
Am Kaukasus, als wär’s ihr leid und bange.
Der neuen Trennung schon so nah zu sein.

In weiter Himmelshöhe mächtig schimmert
Der Riesenberge ew’ger Gletscherschnee,
Um sie herum ein Wolkenchaos flimmert.
Das allen Thalen droht mit Not und Weh.

Darunter prangt der Wälder Märchendunkel,
Bis in die Thäler reicht ihr grün Gewand.
Von Klippen stürzen Bäche mit Gefunkel,
Wild tobt der Terek an die Felsenwand.

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)