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liegt und von zahlreichen Alleen und Wegen für Wagen und Fussgänger durchschnitten wird. Alle Alleen sind mit prachtvollen Bäumen besetzt und haben ausserdem zu beiden Seiten lebende Zäume von wilden Rosen oder anderen Sträuchern. Die für Fussgänger bestimmten Wege sind mit üppigen Weinlauben umwölbt, deren Ranken schon im Juni im grünen Traubenschmucke prangen. In diesem schattigen Parke versammelt sich jeden Abend die schöne Welt von Tiflis, durch die Alleen rollen Wagen dahin, Reiter und Reiterinnen sprengen vorüber und überall wogt eine dichte, bunte Menge von Spaziergängern. Es zeigen sich da alle Trachten des Kaukasus und schmucke, junge Leute von ritterlichem Aussehen schlendern an den langen Bänkenreihen entlang, wo die schönen, schüchternen Töchter Georgiens fast regungslos dasitzen. Viele von ihnen tragen weisse Schleier, andere sind wieder ganz europäisch gekleidet und unter dem Strohhute, der die üppigen Zöpfe sehen lässt, blitzen die grossen, schwarzen Augen hervor.

Im Muschtaid hört das Leben gewöhnlich schon bald nach zehn Uhr auf, aber fast bis zur Morgendämmerung währt es in anderen Gärten. Hier tönt die Surnamusik die ganze Nacht hindurch, fröhliche Zecher singen Lieder, die wieder mitunter von lautem Gelächter oder den Tanzklängen der Lesginka unterbrochen werden.

Noch reizvoller und poetischer wird dieses bunte, muntere Treiben, wenn die schönen Gärten vom Monde beschienen sind.

In einer solchen Nacht lohnt es der Mühe, an das Ufer des nahe vorbeifliessenden Kur zu treten und auf seine reissenden, im Mondsilber glitzernden Wellen zu schauen. Auf dem gegenüberliegenden Berge ragen die Ruinen der alten Festung, des einstigen Schildes der georgischen Königsstadt, empor. Wie viele Triumphzüge mögen diese riesigen Mauern gesehen haben, wie viel Siegesfeste, die Georgien einst in den Tagen seines Glanzes

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)