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Regeln der Harmonie und bestimmte Melodieen besitzt. Diese Weisen sind fast ohne Ausnahme traurig, oft sogar verzweiflungsvoll und der geringen Abwechslungen wegen, eintönig. Auch fehlt ihnen meist ein melodischer Abschluss, denn oft bricht das Lied bei ziemlich hohen Tönen ab, was auf den Europäer einen unangenehmen Eindruck macht.

Zur Begleitung von Gesängen dient gewöhnlich das Tschunguri, denn dieses Instrument ist am wenigsten geräuschvoll und giebt am treuesten die melancholische Leidenschaftlichkeit der georgischen Volksweisen wieder. Die Surna spielt unter anderen auch den georgischen Kriegsmarsch, der mit seiner geräuschvollen, wild dahinbrausenden Melodie Alle hinreisst und selbst im Europäer eine sonderbare Begeisterung hervorruft. Beim Klange desselben streift jeder Georgier sein erworbenes europäisches Wesen ab und wird für eine Weile zum ungestümen, von Mut beseelten Sohne Asiens. In solchen Augenblicken blitzen Dolche, Schüsse krachen und es erklingen laute, leidenschaftlich hinreissende Lieder. Rasende Begeisterung ergreift ganze Zecherkreise und der Toaste und Erinnerungen an Georgiens Vergangenheit ist kein Ende, denn die vormalige Grösse des Vaterlandes steht jedem seiner Söhne stets lebhaft vor Augen. Nur diejenigen, die diese Vergangenheit kennen, sind im Stande die wehmutsvollen und oft wie aus Klagetönen zusammengesetzten Lieder zu verstehen und einen Widerhall im eigenen Herzen zu empfinden. Die Vergangenheit Georgiens ist reich an Ruhm, aber auch wieviel Elend und Trübsal musste dieses Land erleiden! Mehr als zehnmal wurde Tiflis und andere Städte zerstört und niedergebrannt, zahlreiche Dörfer in Schutthaufen verwandelt, Hab und Gut der Einwohner wurde geraubt, die Felder und Gärten verwüstet, die Männer fielen in der Schlacht, die Frauen wurden nach Persien oder in die Türkei geschleppt um dort die Harems reicher

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)