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Alexander I. dem Grossen, welcher in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts regierte, zerfiel Georgien in drei Königreiche und seit dieser Zeit hörten die Kämpfe zwischen diesen fast gar nicht mehr auf, so dass sich das Land in einem beklagenswerten Zustande befand, als für seine Selbständigkeit die letzte Stunde schlug.

Viele Städte lagen halb in Trümmern, die Dörfer waren verwüstet, das Volk war in einen halb verwilderten Zustand zurückgesunken und dachte nur an blutige Kämpfe oder an die Vorbereitungen zu solchen. Von Gewerbe war keine Rede, der Ackerbau war völlig vernachlässigt, die einst blühenden Schulen waren in Verfall geraten und das Schrifttum hatte man inmitten des fortwährenden Waffengeklirrs und der Kriegsnot fast ganz vergessen.

Die Georgier behaupten, dass es damals bei ihnen keineswegs an Reformbestrebungen fehlte und es vielen ihrer Väter darum zu thun war, mit Westeuropa regeren Verkehr anzuknüpfen und überhaupt die Kultur des Landes zu heben. Dass solche Bestrebungen wirklich bestanden haben, ist nicht zu bezweifeln, aber sie waren der Verwilderung der Massen und der allgemeinen Gesetzlosigkeit gegenüber machtlos.

In den Dörfern herrschten wie früher Fürsten und Adel von der schweren Arbeit der ihnen untergebenen Bauern lebend, denn mit voller Kraft blühte hier noch ein mittelalterlicher Feudalismus, welcher dem des Abendlandes ziemlich nahe verwandt war. Den ersten Stand bildeten die Mtabaren oder Tawaden (Fürsten), denen einst alle grösseren Feuda zugehört hatten. Ihnen folgte der Adel, gewissermassen das Lehngefolge der Fürsten. In den Städten wohnten die Mokalaken oder Bürger, aber ihre Zahl war damals sehr gering, denn die einst blühenden Städte waren grösstenteils entvölkert. Den vierten Stand bildeten die Glechen oder Bauern, welche den Fürsten und dem Adel untergeben waren. Alle vier Stände bestehen

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)