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was sich in etwas aus dem Verdachte, nicht genug anerkannt zu werden, herleitete und sich nach und nach bis zum Widerwillen gesteigert hatte, was natürlich auf die Leistung zurückwirken mußte, kann man nicht verlangen, daß die, die ihn mir einmal obenhin gehört, in ein Urtheil einstimmen können, das sich auf dem Grund eines tagtäglichen Verkehrs zu so großer Erhebung herausstellte. Doch stehe hier, einen Begriff seiner weitgediehenen Meisterschaft zu geben, ein klein Beispiel, das mir eben einfällt. Wenn man Jemandem etwas dedicirt, so wünscht man, daß er’s vorzugsweise spiele; aus vielen Gründen hatte ich ihm vielleicht eines der schwierigsten Clavierstücke, eine Toccata,[H 1] zugeeignet. Da mir kein Ton entging, den er anschlug, so hatte ich meinen leisen Aerger, daß er sich nicht darüber machte, und spielte sie ihm, vielleicht um ihn zum Studiren zu reizen, zu Zeiten aus meiner Stube in seine hinüber. Wie vorher blieb alles mäuschenstill. Da, nach langer Zeit besucht uns ein Fremder, Schunke zu hören. Wie aber staunte ich, als er jenem die Toccata in ganzer Vollendung vorspielte und mir bekannte, daß er mich einigemal belauscht und sie sich im Stillen ohne Clavier herausstudirt, im Kopfe geübt habe.

[H 2] — Leider brachte ihn aber jener Verdacht des Nicht-Anerkanntwerdens zuweilen auf unrechte Ideen; einmal hielt er seine Leistungen für noch zu gering und sprach begeistert von neuen Paganini-Idealen, die er in sich spüre, und „daß er sich ein halbes Jahr einschließen und Mechanik studiren werde“;

Anmerkungen (H)

  1. [WS] Schumanns Toccata C-Dur op. 7, 1832 geschrieben, 1834 publiziert, „Ludwig Schunke gewidmet“ IMSLP.
  2. [GJ] Ueber Schunkes Vortrag der Toccata, im Vergleich mit dem Clara Wiecks, sagt der ungenannte Berichterstatter des Kometen über Claras Concert vom 11. Sept. 1834: „Einen wunderbaren Eindruck machte das letzte Stück, eine Toccata von Schumann. Das Werk ist ein Guß von Originalität und Neuheit und wirkte trotz seinem strengen Stil auf alle Zuhörer mit einem tiefergreifenden Zauber. Wir sind überzeugt, was ein Seb. Bach, was ein Beethoven, was ein Paganini in sich getragen, das ruht auch in Schumann; ja er besitzt vielleicht noch mehr als Chopin die Kraft, die moderne musikalische Schule durch die eigenthümlichen Productionen zu ihrem höchsten Glanze zu erheben. Dem Geschmack des Publicums fröhnt er nicht und wird ihm trotz allen oft an ihn gemachten Anforderungen nicht fröhnen; aber gewiß wird er auf seinem Wege ein ganz anderes Ziel erreichen als die Modecomponisten, die keinen höhern Gedanken fassen, als den Leuten jeden Bissen mundgerecht zu machen. Schumanns Toccata ist so schwer, daß sie außer Schunke und der Clara Wieck hier wohl Niemand gut spielen kann. Beide spielen sie verschieden. Ersterer trägt sie als Etüde vor mit höchster Meisterschaft; Letztere weiß sie zugleich poetisch aufzufassen und ihr durch und durch eine Seele einzuhauchen. Auch diesmal belebte sie sie mit so zarten und tiefgefühlten Schattirungen, daß das originelle Tonstück, mit dem das Concert frappant abschloß, in seinem höchsten Glanze erschien“. FN 60. I.342.