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Lebensgüter erstrebt, heidnisch lebt und höchstens christlich stirbt. Der deutsche Humanist dagegen geht meistens aus den mittlern und untern Volksklassen hervor, faßt, von tiefem Erkenntnisdrange ergriffen, ernste Erziehungswerke, eine feste religiöse und sittliche Bildung ins Auge und sucht durch gewissenhafte Arbeit das Leben des Einzelnen zu verinnerlichen und zu veredeln. Allmählich erweitert sich nun dieses Streben zum Kampfe des freien Geistes gegen den Scholastizismus, zur wissenschaftlichen Forschung gegenüber leerer Verstandesspielerei und zum selbständigen Denken gegenüber päpstlicher Autorität, um schließlich in der Reformation aufzugehen. Äußerlich einander vielfach ähnlich, namentlich aber in ihren Angriffen oft dasselbe Ziel verfolgend, sind Renaissance und Humanismus jedoch innerlich weit voneinander verschieden. Italien spiegelt auch auf diesem Gebiete den romanischen, wie Deutschland den germanischen Geist wider. Im Gegensatz zur schönen allseitigen Ausbildung des Menschen und der gefälligen Form des Italieners dringt der unbeholfenere, aber ernstere Deutsche auf Hebung des innern geistigen Lebens.

Für die vorliegende Arbeit kommt natürlich nur der deutsche Humanismus in Betracht und auch dieser höchstens nur insoweit, als seine Wechselbeziehungen zum deutschen Buchhandel reichen. Ludwig Geiger, dessen vortreffliche Schriften dem Leser auf diesem Gebiete die eingehendste Belehrung bieten[1], unterscheidet drei verschiedene Phasen, die ziemlich gleichzeitig mit der Ausbreitung der Buchdruckerkunst beginnen und bis zur Reformation reichen (etwa von 1460 bis 1520), und zwar die humanistisch-theologische, die humanistisch-wissenschaftliche und die humanistisch-polemische Periode. Ziemlich gleichzeitig und vielfach unscheinbar ineinander übergehend, verteilen sich diese drei Perioden mit ihren verschiedenen Schattierungen über ganz Deutschland. Die erste derselben fängt an mit den Fraterherren in Holland, am Niederrhein und in Westfalen und hat ihre Hauptträger in Alexander Hegius zu Deventer und Rudolf von Langen zu Münster. Edle und ernste Geister, halten sie einen Vermittelungsversuch der neuen Bildungsansätze mit der damaligen Kirche noch für aussichtsvoll und erstreben vorzugsweise die Erneuerung des innern Lebens der letztern. Einen bedeutenden Schritt über sie hinaus thun die Wiener während der Regierung des Kaisers Maximilian unter Celtis’, die südwestdeutschen Humanisten unter Erasmus’ und Reuchlins


Fußnoten

  1. Geiger, L., Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland. Berlin 1882. S. 323 fg.; Neuere Schriften zur Geschichte des Humanismus von demselben, in Sybels Historischer Zeitschrift. XXXIII, 49–125, und Johann Reuchlin, Sein Leben und seine Werke von demselben. Leipzig 1871.


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_06.djvu/002&oldid=- (Version vom 1.8.2018)