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So schnell aber, als unter Maximilian das geistige Leben in Wien wuchs, ebenso bald verlor es auch mit dem Tode des Kaisers seine Herrschaft wieder. Unter dem Regiment des bigotten Königs Ferdinand und seiner Priester welkte es sogar schon dahin, ehe es nur, eine in Österreich ausländische Pflanze, festen Fuß gefaßt hatte. Wie unter den ersten 19 Druckern und Buchhändlern der Kaiserstadt sich nachweisbar nur ein Wiener, Johann Singriener der Jüngere, befand[1], während die meisten aus den deutschen Landen und zwei sogar aus Polen gekommen waren, so bestand auch die größere Zahl der nach Wien berufenen Gelehrten aus Deutschen, sodaß mit ihrem Weggang nur geringe Spuren ihrer Thätigkeit zurückblieben.

So unbefriedigend nun die hoffnungsreichen wiener Anfänge auch ausliefen, so kräftig entwickelte sich dagegen der Humanismus in Südwestdeutschland mit seiner Hauptstadt Basel. Hier war es weniger die Universität, obgleich diese den ersten humanistischen Lehrstuhl gegründet hatte, als die vereinte wissenschaftliche Thätigkeit der Verleger und Gelehrten, welche ohne jede Unterstützung von außen erfolgreich für die Befestigung der neuen und freiern Geistesrichtung arbeitete. Das meiste zu diesem mächtigen Aufschwung trug Desiderius Erasmus bei, der von 1513, beziehungsweise 1521 bis 1536 in Basel und Freiburg lebte, aber schon zu Anfang des Jahrhunderts der eigentliche Träger der Bewegung gewesen war. Er zog zugleich wissenschaftlich gebildete Männer und Studenten an, welche als Textesrevisoren oder Korrektoren, oder auch als Setzer in den baseler Druckereien thätig waren und als Schüler der Inclyta Germaniae Basilea, wenn sie diese verließen, ihre dort erworbenen Kenntnisse und Anschauungen weiter trugen und, den Ruhm der Stadt überall hin verbreitend, zugleich neuen Nachwuchs anlockten.

Erasmus ist der bedeutendste und gefeiertste Vertreter der wissenschaftlichen Periode des deutschen Humanismus. Ein Gelehrter, dessen Stellung in der litterarischen Welt nur mit Voltaire’s Einfluß im 18. Jahrhundert verglichen werden kann[2], ein Herrscher im Reiche der Geister und eins „der Augen Deutschlands“, hat er dem ganzen Zeitalter den Stempel seines Genius aufgedrückt. Das andere Auge ist Johann Reuchlin, dessen Streit mit den Kölnern die Brücke zur dritten und letzten Periode des Humanismus bildet und in seinen Anfängen sogar noch der Ankunft des Erasmus in Basel vorausgeht.


Fußnoten

  1. Mayer a. a. O. S. 21.
  2. Geiger, Renaissance und Humanismus. S. 528.


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_06.djvu/007&oldid=- (Version vom 1.8.2018)