Reuchlin jede Kenntnis des Hebräischen ab und beschuldigte ihn, daß er sich von den Juden habe bestechen lassen. Dieser blieb die Antwort nicht schuldig und gab für die Herbstmesse 1511 bei Thomas Anshelm in Tübingen den „Augenspiegel“ heraus. Dieses Büchlein trat jetzt in den Vordergrund der Debatte und des öffentlichen Interesses. Von den Juden und ihren Büchern war fortan keine Rede mehr, denn in dem Kampfe, der jetzt Deutschland in zwei große Parteien spaltete und die Gebildeten von ganz Europa in Mitleidenschaft zog, handelte es sich um viel Größeres und Wichtigeres, um das Recht der freien Meinungsäußerung gegenüber inquisitorischer Verketzerung. Auf seiten Reuchlins standen Männer wie Melanchthon, Spalatin, Eoban Hesse, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Pirckheimer, Hermann von dem Busche, Wolfgang Angst, Peutinger, Ökolampadius, Sebastian Brant, Crotus Rubianus u. s. w.; auf seiten der Gegner der rechtgläubige, aber beschränkte und verfolgungssüchtige Klerus. Reuchlin weist in seiner Schrift den Vorwurf der Bestechung unwillig zurück, widerlegt 34 Lügen Pfefferkorns und namentlich dessen Anschuldigung, daß er, Reuchlin, kein Hebräisch verstehe, ja, seine hebräische Grammatik nicht einmal selbst verfaßt habe.
Der Pleban Peter Meyer, der von 1510 bis 1524 in Frankfurt a. M. sich als Bücherkommissar der Kurfürsten von Mainz geberdete, verbot den dortigen Buchhändlern den Verkauf des „Augenspiegels“ auf der Messe. Hutten nennt diesen Meyer den unverschämtesten und ungelehrtesten Pfaffen von allen, welche Reuchlin übel wollten.[1] Aus anderweitigen Zänkereien mit der Stadt, dem Stift und dem Kurfürsten ist er allerdings als ein auch sonst sehr zank- und händelsüchtiger Priester unvorteilhaft genug bekannt. Als der Erzbischof jenes Verbot nicht bestätigte, ließ Meyer seinen Schützling Pfefferkorn vor der Kirchenthür gegen den „Augenspiegel“ predigen, der infolge dieser öffentlichen Angriffe, zumal er in deutscher Sprache und leidenschaftlich geschrieben war, nur desto mehr Käufer fand. Des weitern sandte Meyer ein Exemplar der angeblich anstößigen Schrift an die kölner theologische Fakultät. Diese aber übergab sie dem Professor Arnold von Tungern zur Prüfung darauf hin, ob etwas Ketzerisches darin zu entdecken sei.
Mit diesem Schritt war der Streit auf den Boden der Kirchengewalt und der Rechtgläubigkeit gezogen; im Hintergrund winkte sogar der Scheiterhaufen. Reuchlin, anfangs eingeschüchtert, leistete den ihm
Fußnoten
- ↑ Strauß, Ulrich von Hutten. I, 289.
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_06.djvu/040&oldid=- (Version vom 1.8.2018)