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günstigsten Fall an das Ohr von Hunderten und Tausenden; die Presse dagegen vermag Hunderttausende und Millionen zu gleicher Zeit für eine neue Idee zu gewinnen und hat denn auch in erster Linie die Reformation zur heiligen Angelegenheit des ganzen Volks erhoben.

Luther war von seinem ersten öffentlichen Auftreten an von der Erkenntnis der Macht der Presse durchdrungen. So ist denn auch seine Thätigkeit auf litterarischem Gebiet eine wahrhaft staunenswerte. Wenn schon seine bis 1520 lateinisch geschriebenen und nur teilweise ins Deutsche übersetzten Predigten und Abhandlungen eine begeisterte Aufnahme fanden, so erfreuten sich seine deutschen Schriften einer bis dahin gar nicht für möglich gehaltenen Verbreitung und wurden von allen Volksklassen förmlich verschlungen. Erst Knaake’s neue kritische Gesamtausgabe der Werke Luthers wird eine genaue Kenntnis der verschiedenen Einzelausgaben ermöglichen und die Geistesbewegung jener Zeit gründlicher als bisher erkennen lassen. Von dieser bedeutenden Arbeit ist leider bis jetzt (bei Niederschrift dieses Kapitels) nur der erste Band erschienen; indessen liefert er, trotzdem daß er bloß bis 1518 geht, die wichtigsten Bausteine auch zu einer Geschichte des Buchhandels jener Zeit.

Auch fand Luther schon den Boden vollständig vorbereitet für sein Auftreten und Vorgehen. Die Volksbildung war durchaus nicht in dem Maße vernachlässigt, wie dies mit besonderer Vorliebe von der spätern lutherischen Geistlichkeit geschildert ward. Man vergegenwärtigte sich zur Widerlegung dieser irrigen Ansicht z. B. nur die lange Jahre bestehenden verdienstlichen Unterrichts- und Erziehungsanstalten der „Brüder vom gemeinsamen Leben“, die Lehrthätigkeit auch der übrigen Humanisten, die Kloster- und Domschulen und städtischen Anstalten in fast ganz Deutschland. Es gab ferner allerorten auch sogenannte Schreib- und Rechenmeister, ja selbst Lesefrauen, welche eben nur lesen und allenfalls schreiben und rechnen lehrten. Aus diesen Gründen war denn schon vor der Reformation im deutschen Bürgertum eine große Schicht vorhanden, welche lebhaften Anteil an der geistigen Bewegung nahm, Bücher kaufte und las. Wäre der allgemeine Bildungsstand ein so tiefstehender und nicht einmal der Ansatz zu litterarischen Bedürfnissen vorhanden gewesen, wie hätte dann die schriftstellerische Thätigkeit Luthers die mächtige Wirkung ausüben können, welche sie in allen Volkskreisen thatsächlich ausgeübt hat, und zwar nicht nur auf diese, sondern auch auf den Buchhandel?

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Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_07.djvu/005&oldid=- (Version vom 1.8.2018)