seinen Kreis gefallen war, zu sammeln; das litterarische Interesse war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht stark genug oder zu einseitig, um solchen Erscheinungen bei ihrem bescheidenen Äußern irgendwelche Aufmerksamkeit schenken zu können. Was also von ihnen erhalten ist, das hat mit wenigen Ausnahmen, wenn nicht ein berühmter Name dahinter steckte, der Zufall, ein Aktenheft, der versteckte Winkel einer Bibliothek, ein planlos zusammengestellter Sammelband, wie man sie damals liebte, oder ein für nichts geachteter Einband gerettet. Allen diesen Tagesschriften gemeinsam ist die Anonymität des Verfassers und Verlegers. So treten sie mit dem Reiz des Geheimnisvollen, mit dem Schein einer doppelten Autorität vor den damaligen Leser und machen einen um so größern Eindruck. Nur einmal heißt es im „Karsthans“ (wahrscheinlich zu Anfang 1521 von Ulrich von Hutten geschrieben), Karsthans solle beim Buchdrucker Grüninger in Straßburg dessen beide Büchlein „Vom Bapstthumb“ und „Ain christliche und brüderliche ermanung“ kaufen und lesen. Aus den verdienstvollen Arbeiten von Karl Hagen, F. David Strauß und Oskar Schade u. a. weiß man, daß die hervorragendsten und edelsten Geister der Nation vor allem auf diesem Gebiete thätig waren und sich zum Theil hier ihre ersten litterarischen Sporen verdient haben.
Trotz alledem sind aber noch so viele jener Flugschriften auf die Gegenwart gekommen, daß sie eine der wichtigsten Quellen zur Kenntnis der Volksstimmung und des innern Ganges der Bewegung bilden. Sie weisen den Reflex der Ereignisse im Gemüt und Bewußtsein des Volkes nach, begleiten jedes neue Ereignis mit ihren Kommentaren und lehren vor allem den Charakter der Reformation viel tiefer und höher, denn als einen nur theologisch-dogmatischen Kampf gegen die alte Kirche auffassen. Es handelt sich nämlich von Anfang an für das Volk nicht nur um die Abschüttelung des römischen Jochs, sondern auch um die Befreiung von weltlichen Lasten, um die Beseitigung des weltlichen rohen Drucks und einer in gesetzliche Formen gebrachten Aussaugung durch heimische Herren und Machthaber. In vielen dieser Schriften gingen die letztern Beschwerden selbst den gegen Rom gerichteten voran; für alle aber war das Papsttum der Inbegriff jeder Art von Gewalt und Niedertracht. So ist es denn ziemlich auch derselbe Grundgedanke, welcher in der Tageslitteratur der Reformationszeit von immer neuen Gesichtspunkten aus behandelt wird.
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_07.djvu/033&oldid=- (Version vom 1.8.2018)