Obgleich nun die Censur in Ulm ziemlich mild gehandhabt worden zu sein scheint, sah der Rat sich doch unter Umständen durch die herrschenden Zeitumstände veranlaßt, recht vorsichtig zu verfahren. So findet sich in 1619 die Verfügung, die von der Bürgerschaft stark begehrte Neujahrspredigt Dr. Dietherichs solle durch die Herren des Religions- und Baupflegamts durchgegangen und ihm angezeigt werden, was er herauslassen solle. In demselben Jahre wurde beschlossen, daß desselben Geistlichen Gratulationspredigt zur Kaiserwahl in Frankfurt durch die Religionshüttenherren vor dem Druck censiert und was darin nicht zu passieren, ausgelöscht werden sollte. Man hatte sich gewiß schwer dazu entschlossen, den angesehenen Geistlichen derart zu bevormunden; aber die Prediger sprachen sich damals über die politischen Zustände auf der Kanzel so ungeniert aus, daß wohl starker Grund zu Befürchtungen vorgelegen haben mag.
Doch nicht allein auf Inhalt und Gesinnung der zur Censur vorgelegten Manuskripte sah man, es kommt sogar der merkwürdige Beschluß vor, wonach der Rat dem Buchdrucker des „Cronicklins“ halber, „von Ursprung der alten Herzöge von Töckh“, Mag. Jakob Fröschlinus, andeuten ließ, dem Verfasser zu verstehen zu geben, dasselbe etwas besser durchzugehen und in gebührende Ordnung zu bringen, hernach aber mundiert einzuschicken, „alsdann der Druck verfertigt werden mag“.
Ein so unmächtiges Staatswesen hatte natürlich nach allen Seiten Rücksichten zu nehmen, in dem Maße, daß in gewissen Fällen sogar ein Verstoß gegen die Vorschriften der Reichspreßordnung vorgeschrieben wurde, selbst in Fällen, wo es schwer ist, die Möglichkeit eines Anstoßes vorauszusetzen. Im Jahre 1615 wurde verfügt, der Buchdrucker Johann Meder solle des Jesuiten Johann Keller „Epistolae“ und Dr. Heilbronners Antwort darauf drucken dürfen, „doch ohne benambsung des orts und des Buchdruckers Namens“. Ein weiterer Beschluß von 1640 lautet: „Dem Buchdrucker ist vergönnt, das Tractätlein, wie und welcher Gestalt die neuerbaute evangelische Kirche zu Preßburg in Ungarn solenissime inaugurirt und eingerichtet worden, zu drucken, doch mit Auslassung des Orts und Buchdruckers Namens“. Schwer erklärlich ist ein anderer von 1634: Johann Faulhaber solle seine „Fortifikationskunst“ drucken lassen dürfen, aber die Worte, daß es mit des Rats Bewilligung geschehe, weglassen. Solche ängstliche Rücksichtnahme war jedenfalls
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_09.djvu/058&oldid=- (Version vom 1.8.2018)