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Buchhändler weder mit Beschlagnahmen noch mit sonstigen Strafen behelligte.

Inzwischen mehrten sich von Tag zu Tage die Anzeichen des aufsteigenden Sturmes, der Deutschland für ein Menschenalter in seine Wirbel reißen sollte. Mit dem Tode Rudolfs II. (1612) nahm die politische und religiöse Spannung immer schroffere Formen an. Bis in die untersten Schichten der Bevölkerung stieg die Aufregung. Jede Waffe galt zwischen den streitenden Parteien als recht: Spott und Hohn, Schimpf und Lüge. Bänkelsänger zogen durch das Land und boten in Städten und Dörfern, auf Messen und Jahrmärkten ihre „Drei oder vier neue Lieder, gedruckt in diesem Jahr“ feil. So gab es kaum ein Ereignis der großen Politik, von der Einnahme von Donauwörth an bis zu den aachener Vorgängen des Jahres 1614, das nicht durch Presse und Gesang ins Volk getragen worden wäre. Allen diesen Erzeugnissen der Parteiwut war selbstredend ein bitterer und gehässiger Grundton eigen; in keinem von ihnen drang ein gutmütiger, milder Zug durch: sie muten noch heute den Leser an, als ob die Gegner sich bereits mit den Waffen in der Hand gegenüberständen. In Frankfurt mischten sich die Bücherkommissare sogar in die dem Rate zustehende Censur über diese Art untergeordneter Litteratur ein und fahndeten auf die Bänkelsänger. So hatte Leucht schon am 19. September 1611 den Bürgermeister aufgefordert, dem Unfug ein Ende zu machen, den etliche unruhige Personen mit dem Dichten und Absingen von ärgerlichen Famosliedern und Schmähkarten auf den öffentlichen Plätzen der Stadt trieben. In solchen Liedern würden nicht allein der geistliche Stand, sondern auch die kaiserliche Majestät, andere hohe Potentaten und Reichsstände verkleinerlich und zum schmählichsten angetastet, wie sie denn auch dem Religionsfrieden zuwiderliefen. „Also gelanget an E. E. von Amptswegen mein dienstliches Suchen, Sie wollen durch Ihre Diener solche nicht allein alsbaldtt abschaffen, sondern auch die Dichter und Singer mit gebührlichem Ernst und Strafe ansehen.“ Es waren allerdings Schmählieder gegen den Papst, den Herzog von Bayern, die katholische Kirche, die Messe, die Beichte, die Jesuiten und katholische Übergriffe, wie sie herausfordernder selbst in jener erregten Zeit nicht gedruckt worden waren; indessen erschienen sie auf der gegnerischen Seite nicht milder, ja sogar noch gröber. Von diesen letzteren nahmen die Bücherkommissare

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Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_10.djvu/029&oldid=- (Version vom 1.8.2018)