Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 257.jpg

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des Dichters ab, so bleiben übrig die Haustiere, die, um nicht geschlachtet zu werden, zusammen in das Waldhaus wandern und mit vereinten Kräften die dort eindringenden stärkeren Wölfe vertreiben. Viele der neuerdings niedergeschriebenen Volksmärchen haben diese ältere Form bewahrt. Zu Hund, Hahn und Katze, den nächsten Genossen des Menschen, dem ‘hûsgeræte’, wie Reinmar von Zweter (Roethe 1887 S. 493. 611. Wackernagel, Kl. Schriften 3, 78) sagt, treten hinzu Ochse, Esel, Schaf, Schwein, Ziege, Pferd, Gans, Ente, wobei manchmal ihr männliches Geschlecht betont wird (z. B. im Dänischen; s. J. Grimm, Mythologie ³ S. 47 und Reinhart Fuchs S. LXXIV), dann aber auch wilde Tiere, Fuchs, Hase, Bär, Rabe, Krebs; selbst leblose Dinge wie das Ei, die Nadel u. a. (vgl. oben zu nr. 10) setzen sich in Bewegung. Den Anlaß zur Wanderung gibt die bevorstehende Schlachtung oder die Verstoßung durch den Hausherrn (wie beim alten Sultan, unten nr. 48) oder ein Schreck durch ein fallendes Blatt oder einen Krach: Der Himmel fällt ein, die Welt geht unter. Auch wird Rom als Ziel der Reise genannt, wo der Hahn Papst oder Kaiser werden oder die Katze sich den Schwanz vergolden lassen will. Der Führer der Tiere ist bald ein Esel, der in Bremen oder Amsterdam Musikant oder in Brüssel Kirchensänger werden will[1], bald ein Kater, ein Hahn, der Ochse, das Schaf, das Pferd. Das Waldhaus ist entweder herrenlos oder im Besitz der Wölfe oder wird erst vom Ochsen erbaut (so im Russischen). Es wird entweder während der Abwesenheit der Bewohner besetzt, oder diese werden überfallen und vertrieben; mit besonderem Behagen aber wird die Überraschung des nachts eintretenden und von verschiedenen Seiten her angegriffenen[2] Besitzers ausgemalt (vgl. auch nr. 10 und 41). Merkwürdig ist, daß sich das Motiv des vorgezeigten Wolfskopfes oder Felles aus dem Ysengrimus noch in den Pyrenäen, in Katalonien, Algier, Bulgarien, Finnland


  1. Der lautespielende oder dudelsackblasende Esel ist seit dem Mittelalter häufig abgebildet worden (Wickram, Werke 4, IX. 8, 347) und kommt auch im Volksliede vor (Erk-Böhme, Liederhort nr. 1108, vgl. 1783).
  2. In Bidermanns lateinischem Roman Utopia (1691 p. 321; zuerst 1640. Deutsch von Hörl, Bacchusia 1677 S. 342) will einer nachts am Herde ein Schwefelholz anzünden, hält die Augen der dort liegenden Katze für glühende Kohlen und erschrickt heftig, als diese ihm fauchend entgegenfährt.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_257.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)