Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 446.jpg

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Novellenbuch 1, 21. A. Keller, Italiänischer Novellenschatz 2, 62) verspottet die Tochter des Grafen von Toulouse ihren Freier, den Grafen von Barcelona, weil er beim Mahle einen ihm entfallenden Granatkern vom Boden aufhebt[1]; aber als Juwelenhändler verkleidet, gewinnt er durch einen Diamanten ihre Gunst, bis sie, um ihre Schande zu verbergen, mit ihm entfliehen muß. Als Krämerfrau erleidet die Stolze verschiedene Demütigungen, da sie Brot und Perlen auf Geheiß ihres Mannes stehlen muß und dabei ertappt wird. Endlich aber begrüßt der Graf sie bei einem Feste öffentlich als seine Gemahlin, und ihr Leid hat ein Ende. – Bei Basile 10, nr. 4 ‘La soperbia casticata’ verkleidet sich der von der hoffärtigen Prinzessin Cintiella abgewiesene König von Bello paese als Gärtner und erkauft für einen kostbaren Mantel, Rock und Mieder die Erlaubnis, bei ihr zu schlafen. Wie bei Alamanni muß Cintiella mit dem Gärtner fliehen, wird beim Stehlen von Brod und Kleiderstoffen erwischt, aber erst nach der Geburt von Zwillingen zur Königin erhoben.

In den neueren Aufzeichnungen des Märchens, das auch von Kunstdichtern wiederholt bearbeitet worden ist[2], wird die Gewinnung der hochmütigen Schönen (A) bisweilen anders motiviert; statt durch die Kleinode erringt der als Koch, Gärtner, Soldat, Bettler usw. verkleidete Liebhaber ihre Gunst durch sein Harfenspiel (wie Horand), durch Aufgeben eines Rätsels (wie in nr. 22), durch Versteck in einem goldenen Hirsch (Zs. f. Volksk. 6, 166 zu Gonzenbach nr. 68 und 18, 69²) oder mit Hilfe wunderbarer Gefährten


  1. Dieser Zug erscheint auch in der ‘Halben Birne’ Konrads von Würzburg (v. d. Hagen, Gesamtabenteuer nr. 10. Ausgabe von G. Wolf, Erlangen 1893), einem unfeinen Seitenstück zu unserm Märchen; denn hier ergibt sich die Dame dem vorher verschmähten Liebhaber, der als Narr verkleidet wiederkehrt, nicht aus Verlangen nach seinen Kleinoden, sondern aus grober Lüsternheit; vgl. Liebrecht, Zur Volkskunde 1879 S. 116 ‘Der verstellte Narr’, U. Jahn, Schwänke S. 10, Wlislocki, Germania 33, 342 und Grundtvig-Olrik, DgF. 6, 329 nr. 368 ‘Germand Smed og Præstens Datier’.
  2. Deutsch: F. Röber, König Drosselbart 1851. 1881. M. Horn, König Drosselbart 1860. A. Fitger, Fahrendes Volk, Gedichte 1880 S. 179–208 ‘König Drosselbart’. Utis [M. Rieger], Neuer Phantasus 2, 236 (1887). Bügner, König Drosselbart 1895. Opern von C. Felix (Cohn) 1886, A. Reißmann 1886, G. Kulenkampff 1899, Zemlinsky, Es war einmal. – Dänisch: H. Drachmann, Der var engang 1886. Bartholdy, Svinedrengen (Operette nach Andersen) 1886.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_446.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)