Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/162

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

der Interessen ihrer Standesangehörigen gegenüber dem Landesherrn erschienen. Ihre Beziehungen zum Fürsten bewegten sich auch nicht in den Formen des Verkehrs von Staatsorgan zu Staatsorgan, sondern in der Form des Vertrages gleichberechtigter Kontrahenten. Vielfach beschränkte sich ihre Tätigkeit nicht nur auf die Steuerbewilligung und die Zustimmung zum Erlasse von Gesetzen, sondern nahm geradezu den Charakter der Mitregierung – namentlich auf dem Gebiete der Finanzverwaltung – an und schuf so einen der Entwicklung des Staatsgedankens höchst schädlichen Dualismus. Erst in den letzten Zeiten des ständischen Wesens zeigten sich Ansätze einer Wandlung der Stände zu Staatsorganen.[1]

Zu der Kategorie der ständischen Monarchie gehören beinahe sämtliche christlich-germanische Staaten des Mittelalters, namentlich das alte Deutsche Reich, sodann Frankreich, Spanien, Portugal, die italienischen Monarchien, Schweden, Dänemark, Ungarn u. a. Im Deutschen Reiche war die Entwicklung die, dass der vom Könige ursprünglich nur anlässlich der Hoftage eingeholte Beirat der Fürsten sich allmählich zu der Einrichtung des Reichstags verdichtete, während andererseits in den Territorien des Reiches die anfänglich nur auf den Hoftagen mit den „meliores et majores terrae“ gepflogenen Beratungen der Landesangelegenheiten allmählich zu regelmässig zusammentretenden Landtagen wurden.[2] Die Institution des deutschen Reichstags erhielt sich dem Namen nach bis zur Auflösung des alten deutschen Reichs; die einzelstaatlichen Landstände dagegen wurden der Mehrzahl nach im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts beseitigt; nur in einigen wenigen deutschen Staaten, wie Württemberg, Baden und Hessen, brachte erst die mit der Reichsauflösung gewonnene formelle unumschränkte Machtvollkommenheit der vormaligen Territorialherren die Aufhebung der längst missliebig gewordenen Stände.[3] In Mecklenburg haben sie sogar das Inslebentreten des neuen Deutschen Reichs überdauert. Die Beseitigung der Landstände machte die deutschen Monarchien vorübergehend zu absolut regierten Staaten.

ββ) Die konstitutionelle Monarchie.

Die eigentliche Grundlage der konstitutionellen Monarchie ist der Staat des aufgeklärten Absolutismus, jedoch leben auch heute noch manche altlandständische Erinnerungen in der konstitutionellen Monarchie fort.[4] Mit der absoluten Monarchie hat der monarchische Konstitutionalismus vor allem das Eine gemeinsam, dass hier wie dort alle Staatsgewalt in der Hand des Herrschers vereinigt ist, der der praesumptive, originäre Träger aller aus dem Wesen des Staates sich ergebenden, in der Staatsgewalt begrifflich vereinigten Zuständigkeiten ist.

Ihre deutlichste Ausprägung hat die konstitutionelle Monarchie in den monarchischen deutschen Einzelstaaten gefunden, so dass man sie geradezu als die spezifisch deutsche (so Bornhak, A. St. L. S. 34) oder auch preussisch deutsche Staatsform (so Hintze S. 381) bezeichnet hat und dass man jedenfalls berechtigt ist, ihre Wesensmerkmale in den einzelstaatlichen deutschen Verfassungsurkunden aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu suchen.


  1. Vgl. Seydel. S. 27.
  2. Aus der einschlägigen Literatur ist besonders hervorzuheben: Unger, Geschichte der Deutschen Landstände, 2 Bde., 1844; Mundt, Geschichte der deutschen Stände etc., 1854; v. Campe, Die Lehre von den Landständen nach gemeinem deutschen Staatsrechte, 2. A., 1864.
  3. Vgl. Heusler, S. 282 ff.; Hubrich, Deutsches Fürstentum und Deutsches Verfassungswesen 1905, S. 23 ff.
  4. Hintze. Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung. 1911, Preuss. Jahrbücher, B. 144, H. 3, S. 387, spricht von dem monarchischen Konstitutionalismus in anschaulicher Weise als von einer „Metamorphose des alten aufgeklärten Absolutismus“ und erblickt seine historisch-politische Grundlage in der Eigenart des auf dem Kontinent vorherrschenden kriegerischen Staatstypus.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/162&oldid=- (Version vom 23.7.2021)