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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

15. Abschnitt.


a) Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland.
Von
Dr. jur. Hugo Preuss,
Professor an der Handelshochschule Berlin.


Inhalt:

1. Selbstverwaltung und selfgovernment. – 2. Die Entwicklung der Selbstverwaltungsgesetzgebung in Preussen. – 3. Die Entwicklung der Selbstverwaltungsgesetzgebung in den anderen deutschen Staaten. – 4. Die heutige Organisation der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland.

Die Literatur

über die „Selbstverwaltung“ kann hier auch nicht im Ueberblick gegeben werden. Neben den Kompendien des Staats- und Verwaltungsrechts, des allgemeinen, des deutschen und einzelstaatlichen, kommen die Kommentare zu den Gemeinde-Kreis-Provinzial-Ordnungen in Betracht sowie eine überreiche monographische Literatur. – Ein Ueberblick der geltenden Gemeinde-Gesetze nach dem Stande von 1905 findet sich bei

Meyer-Anschütz: „Lehrbuch des deutschen Staatsrechts“. 6. Aufl. S. 373 fg.

Hier seien lediglich erwähnt: die Werke Gneists und dazu:

Jos. Redlich, „Englische Lokalverwaltung“ (1901).
Gierke: Genossenschaftsrecht Bd. I, und Art. „Gemeindebeamte“ in Holzendorffs Rechtslexikon sowie sein Vortrag: „Die preussische St. O. v. 1808 und ihre Nachfolgerinnen.“
– Die Publikationen des Vereins f. Sozialpolitik über „Verfassung und Verwaltung der Städte“. 1906–1908.
Keil: „Die Landgemeinde“ 1896.
Preuss: „Das städtische Amtsrecht in Preussen“ 1902.
– „Die Entwicklung des deutschen Städtewesens“, Bd. I 1906.
– „Das Recht der städtischen Schulverwaltung in Preussen“ 1905.
– „Zur preussischen Verwaltungsreform“. 1910.

1. Selbstverwaltung und selfgovernment.

Die schönste Einmütigkeit und die schlimmste Meinungsverworrenheit zugleich bestehen in unserer Literatur über die Selbstverwaltung. Dass sie nützlich, notwendig, unentbehrlich sei, darüber ist alles einig; aber was eigentlich Selbstverwaltung ist, worauf ihr Wesen beruht, – darüber ist alles uneinig. Und gerade seit der Wirksamkeit Gneist’s, die für die Beschäftigung der Wissenschaft, der Publizistik und der Gesetzgebung mit dem Problem der Selbstverwaltung von grösster Bedeutung gewesen ist, hat dieses Problem in Theorie und Praxis an Unklarheit stark zugenommen. Sehen die einen im Ehrenamt das Charakteristikum der Selbstverwaltung, so erkennen die andern, dass auch berufsamtliche Tätigkeit den Begriff der Selbstverwaltung nicht ausschliesst, während umgekehrt mit dem Ehrenamt an sich jener Begriff noch nicht gegeben ist. Bestellung der Beamten durch Wahl ist für die einen der entscheidende Punkt, während für die andern das echte Wesen der Selbstverwaltung die Ernennung ihrer Träger durch die Krone erfordern soll. Geht man hier von der Antithese aus: Selbstverwaltung ist der Gegensatz von Staatsverwaltung, so verkündet man dort das Dogma: alle Selbstverwaltung ist staatliche Verwaltung. Damit verknüpft sich weiter die Meinung, dass das eigentliche Gebiet der Selbstverwaltung nur die Verwaltung wirtschaftlicher Angelegenheiten sei, während die obrigkeitliche Verwaltung dem Staate zukommt; dagegen sehen andere in der Selbstverwaltung eine wahre politische Verwaltung, die als solche obrigkeitliche und wirtschaftliche Aufgaben enthalte. Einen Notweg aus dieser Wirrsal sucht man zu gewinnen durch die Spaltung des Begriffs der Selbstverwaltung: in einen politischen Begriff der „bürgerlichen“ und einen juristischen Begriff der „körperschaftlichen“ Selbstverwaltung; wogegen jedoch geltend gemacht wird, dass hier wie überall im Staatsrecht die juristische Form einen politischen Inhalt umschliessen müsse. Endlich ist es bei solcher Meinungsverschiedenheit über das Wesen der Sache nicht verwunderlich, dass für die einen England nicht bloss das Mutterland,

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/219&oldid=- (Version vom 26.7.2021)